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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Mitarbeit an den Deportationen von Juden, die in unserer Stadt wohnen, belastet uns ohnehin. Aber dass wir jetzt an einigen Abenden selbst alte, schwache und hinfällige Männer und Frauen aus ihren Häusern holen müssen, geht zu weit. Etliche von uns empfinden die Verrichtung dieser Arbeit als eine Beleidigung unseres niederländischen Korps. Mütter mit Kleinkindern müssen wir hinaus in die Nacht nehmen.« Der hohe Beamte wird gebeten, dem schnell ein Ende zu machen, denn alle müssten doch dem Recht dienen.
    Was den Polizisten nicht bewusst war: Sie stützten mit ihrem Bemühen, die Menschen beim Abholen aus den Wohnungen freundlich zu behandeln und ihnen, wenn nötig, gut zuzureden, die Interessen der Besatzer, dass alles unaufgeregt und ohne Komplikationen vor sich ging. Die Strategie, dass die Amsterdamer Polizisten, die traditionell Vertrauen genossen und sich in den jüdischen Vierteln und der Mentalität ihrer Bewohner auskannten, allein schon durch ihr Erscheinen bei den Aufgegriffenen die ohnehin geringe Motivation zum Widerstand vollends schwinden ließ, ging auf. Während die einen resignierten, keimte bei anderen sogar ein Gefühl von Hoffung auf. Wenn sich die niederländischen Gesetzeshüter an solchen Aktionen beteiligten, konnte es doch nicht so schlimm werden.
    Am 4., 5. und 8. September gingen die Deportationen direkt aus den Wohnungen weiter. Seit dem 2. September waren jedes Mal zwischen 380 und 450 Juden erfasst worden und füllten die Züge ins Lager Westerbork. Am 11. orderte Polizeichef Tulp, dem die Namen der zwei widerständigen Amsterdamer Polizisten gemeldet worden waren, an, die Männer bei den abendlichen Deportationen einzusetzen. Gegen halb vier Uhr nachmittags erfuhren sie davon und äußerten ihre Bedenken. Einer der beiden Polizisten war nach einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten bereit, alle Befehle auszuführen. Der Jurist Jan van den Oeven, in Telefonaten von seiner Frau kräftig unterstützt, blieb bei seiner Meinung und erklärte, aufgrund seiner religiösen Überzeugung diesen Auftrag nicht ausführen zu können. Er wurde umgehend seines Dienstes enthoben und am nächsten Tag entlassen. Die Deportationen gingen im Zwei-Tage-Takt weiter.
    Am 15. September gegen Mitternacht klingelte es an der gemeinsamen Wohnung von Mirjam Levie, ihren Eltern, ihrer Schwester und ihrer Großmutter. Draußen Polizisten mit einer Liste, auf der alle Namen standen: »Wir sollten uns anziehen und mitgehen.« Der Einwand, dass die Familie durch die Mitarbeit von Mirjam Levie im Jüdischen Rat »gesperrt« sei, half nicht. Es gelingt Mirjam Levie die Polizisten zu überreden, vorläufig nur sie und ihren Vater zur Zentralstelle für jüdische Auswanderung mitzunehmen. Im privilegierten Besitz eines Telefons, kann sie ihrem Chef noch telefonisch ihr Missgeschick durchgeben. Die Polizisten bringen sie zu einem Überfallwagen, der schon andere Deportierte aufgenommen hat:
    »Und dann begann die Hölle. Der Zustand im Wagen war unbeschreiblich. Die Insassen waren vollkommen aufgelöst, lagen auf dem Boden und wimmerten oder schrien. Wir mussten noch andere abholen und hörten, wie Türen eingetreten wurden. Alte und Kranke im Schlafanzug und einer Jacke darüber wurden im wahrsten Sinne des Wortes aus den Häusern geschleift und wie Lumpen in den Wagen geworfen … Und das alles im Stockfinstern. Die Brücke zwischen Weesperstraat und J.   D. Meijerplein war hochgezogen und musste heruntergelassen werden, wenn das Auto passieren wollte. Und immer wieder fuhren wir hin und her, bis der Wagen endlich voll war.«
    Als Mirjam Levie gegen halb zwei Uhr mit ihrem Vater am Adama van Scheltemaplein im Innenhof der ZjA, wo deutsche Soldaten mit Gewehren postiert waren, aus dem Wagen stieg, rief ein Mitarbeiter vom Jüdischen Rat schon ihren Namen – »da wusste ich, dass alles in Ordnung war«. Vater und Tochter können zu den »Freigestellten« gehen, die den Schrecken der Deportation für diese Nacht entkommen sind: »Natürlich waren wir sehr froh, aber als wir sahen, dass sich die anderen, die mit uns im Auto gewesen waren, zum ›Transport‹ stellen mussten, war das schon schrecklich.« Weil bis um 6 Uhr Ausgangssperre war, marschierten die Levies mit allen »Freigestellten« in eine nahe gelegene Schule, um dort zu übernachten.
    Oft verbrachten die »Freigestellten« die Nacht auch in einem Büro des Jüdischen Rates in der Jan van Eijckstraat 19. Direkt gegenüber wohnten seit ihrer

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