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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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wurde der Arzt Gerrit Kastein, strategischer Kopf der Gruppe, verraten und verhaftet. Um keine Namen zu nennen, beging Kastein Selbstmord, indem er während des Polizei-Verhörs mit gefesselten Händen im zweiten Stock aus dem Fenster sprang. In den folgenden Monaten erschossen Mitglieder von CS -6, meist Studenten, die politisch radikal links engagiert waren, rund zwanzig niederländische Polizisten und Sicherheitsbeamte, die bei der Verfolgung der Juden aktiv waren. Zugleich gerieten einzelne in die Fänge der Besatzer, nannten Namen ihrer Mitkämpfer unter der Folter oder wurden zu Doppelagenten. Bis in den September hatten die Deutschen schließlich rund siebzig Mitglieder von CS -6 verhaftet, darunter auch die einundzwanzigjährige Reina Prinsen Geerligs, als sie nach einem Attentat ihre Pistole in einem illegalen Amsterdamer Quartier verstecken wollte.
    Nur einen Tag brauchte das Standgericht am 30. September, um im Prozess gegen die Gruppe 19 Todesurteile zu fällen, 12 davon gegen Widerständler aus Amsterdam. Sie alle standen am 1. Oktober in den Dünen von Overveen vor einem deutschen Erschießungskommando, darunter auch die beiden Boissevain-Brüder »Janka« und »Gi« und ihr Cousin Louis. Reina Prinsen Geerligs, geboren im Oktober 1922, wird mit zwei Mitstreiterinnen gleichen Alters ins Lager Sachsenhausen bei Oranienburg deportiert. Dort sind die drei jungen Frauen am 24. November 1943 ermordet worden, singend sollen sie vor das Erschießungskommando getreten sein.
    Über Amsterdam lag bleiern Resignation. Die Invasion der Alliierten, mit der die Menschen fest vor dem Herbst gerechnet hatten, schien wieder nicht zu gelingen. Da ließ die Kapitulation Italiens und die Gefangennahme des faschistischen Diktators Mussolini am 8. September die Stimmung in der Stadt blitzartig umspringen. Der Polizeibericht hielt fest: »An diesem Abend waren die meisten Cafés voll, und die Menschen von Heiterkeit erfüllt. Da und dort brannten Jugendliche Feuerwerke auf den Straßen ab.« Nur vier Tage später kam die Resignation so jäh zurück, wie sie verflogen war. Die Deutschen hatten den gefangenen Mussolini befreit, in Italien ging der Krieg weiter.
    Als die allgemeine Freude noch groß war, am 8. September, diktierten zwei Männer der »Abtlg. Recherche, Gruppe Henneicke« in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, zu der ihre Abteilung gehörte, einen »Bericht« zum »Judenkind Max Vogel«. Mittags um 12 Uhr hätten sie ihn »bei dem Arier Vermeulen, wohnhaft zu Amsterdam, Linnaeusparkweg 63« festgenommen. Der Vater sei schon »nach Polen abtransportiert«, die Mutter »untergetaucht« und die Großmutter, die sich ebenfalls in der Wohnung am Linnaeusparkweg befand, »schon in die Schouwburg eingeliefert worden«.
    Max Vogel, ein kränkelnder Junge mit offener TB , war am 7. September zwei Jahre alt geworden. Bevor seine Mutter untertauchte, hatte sie ihren Sohn illegal bei einer Pflegefamilie unterbringen können. Damit Max an seinem Geburtstag ein wenig von der eigenen Familie um sich hat, kommt die Großmutter zu Besuch. Vogeltje Emmerik-Worms ist 48 Jahre alt und bleibt über Nacht. Als am nächsten Morgen um neun Uhr die Klingel geht, stehen zwei Männer vor der Türe und betreten das propere Backsteinhaus in der stillen Straße. Der Protest der Pflegemutter hilft nicht: »Mitkommen!« Zwei Prämien winken, der Tag beginnt erfolgreich für das Henneicke-Team. Vogeltje Emmerik-Worms stirbt am 24. September 1943 in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau. Ihr Enkel landet in der Crèche gegenüber der Schouwburg, zur Deportation bestimmt. Doch noch im September wird der kleine Max aus der Krippe geschmuggelt und findet bei einer nichtjüdischen Familie einen sicheren Hafen; seine untergetauchte Mutter überlebt ebenfalls.
    Die Kinder-Helfer der vier Widerstandsgruppen erhalten immer zahlreichere Hinweise, dass die Zeit für Juden in Amsterdam im September ablaufen wird. Zu Dutzenden werden jetzt die Kinder aus der Krippe geschmuggelt und hohe Risiken genommen. Virrie Cohen gelingt es, fünfzehn Kinder auf einmal heimlich in das Büro des Jüdischen Rates in der Plantage Parklaan, nur wenige Minuten entfernt, zu bringen. Längst sind selbst die Kleinsten daran gewöhnt, stillzuhalten, nicht zu weinen. Nach und nach kommen die Kurier-Studenten ins Büro, um die Kinder abzuholen, und sofort vom Amsterdamer Hauptbahnhof zu nichtjüdischen Pflegefamilien in der Provinz zu fahren. Weil die Kinder sie von

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