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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Rudolf Nelson mit seinem Revue-Kabarett an das Theater La Gaîté im Kino-Palast Tuschinski gebunden. Der »Dicke Napoleon des Cabarets«, so Tucholsky, begleitet auf der Bühne am weißen Flügel seine Lieder und komponiert alle vierzehn Tage eine neue Revue. Es gibt Auftritte mit Operettenmelodien und Parodien, und in den Pausen spielt eine Jazzband zum Tanz auf. Beliebte Schauspieler und Sängerinnen sind willkommen, eine von ihnen ist Dora Gerson.
    Schon 1931 war die Chanson-Sängerin Dora Gerson mit dem Kabarett »Ping-Pong« Louis Davids bei einem Berlin-Besuch aufgefallen, und er hatte sie in die Niederlande eingeladen. Auch die Gerson, Berliner Jüdin, flüchtete im Frühjahr 1933 aus Deutschland. Anfang Mai 1933 stand das Ping-Pong im Amsterdamer Rika Hopper-Theater in der Plantage Middenlaan 4 auf der Bühne.
    Im August und November waren weitere Ping-Pong-Auftritte in Amsterdam. »Sie singt einfach wundervoll …«, schrieb De Telegraaf. Dora Gersons spröder Gesang nahm den Texten jede Sentimentalität, auch da, wo sie die Essenz des eigenen Emigrantenschicksals vortrug: »Heute hast du noch fünf Zimmer,/ morgen bist du Kohlentrimmer… Es kennt der Mensch im Leben nur Momente / Momente so, Momente so … Ein guter Kurs und was Applaus, / ein bisschen Zärtlichkeit, ein bisschen Glück, / das alles dauert nur ein’ Augenblick, / dann ist auch schon wieder Schluss. / Es kennt der Mensch im Leben nur Momente, / Momente so, Momente so.« Das Kabarett Ping-Pong löste sich Ende 1934 auf. Dora Gerson ist weiterhin mit Einzelauftritten erfolgreich.
    Eine scharfe politisch-literarische Waffe gegen den Nationalsozialismus wollte das Kabarett sein, das am 1. Januar 1933 in München erstmals vors Publikum trat. Thomas Manns älteste Tochter Erika hatte »Die Pfeffermühle« mit Künstlerfreunden und der Schauspielerin Therese Giehse gegründet. Im März sah sich die Truppe in der Schweiz wieder, entschlossen, als Kabarett im Exil weiterzumachen. Das galt für Zürich wie für Amsterdam, wo die Pfeffermühle erstmals vom 1. bis 31. Mai 1934 gastierte, im Centraal Theater in der Amstelstraat.
    In diesen Wochen waren die Niederländer in nationaler Hochstimmung. Auslöser war ein Fußballspiel am 8. April 1934 im ausverkauften Amsterdamer Olympiastadion, wo die niederländische Nationalmannschaft Irland mit 5:2 Toren besiegte. Damit hatten sich die Holländer für die zweite Fußballweltmeisterschaft der Geschichte qualifiziert, die im faschistischen Italien ausgetragen wurde. Am 2. Mai nahm der Schlagersänger Willy Derby im Berliner Polydor-Studio, das technisch allen holländischen Studios weit voraus war, ein selbst komponiertes Lied auf Schallplatte auf. Seine Landsleute wurden nicht müde, es als Beschwörungsformel für ihre Fußball-Helden zu singen: »We gaan naar Rome, we gaan naar Rome…« In Rom würde das Endspiel stattfinden, und am Ende des Liedes hieß es: »Wenn die Niederlande das nicht gewinnen, esse ich keine Makkaroni mehr.«
    Hunderte fußballverrückter Holländer zogen über die Alpen, einige per Fahrrad, um »Oranje« zu unterstützen. Das erste Spiel fand am 27. Mai in Mailand statt, Schweiz gegen Niederlande. Am Ende stand es 3:2, aus der Traum, denn es galt von Anfang an das K.-o.-System.
    Das Erwachen in der Krisen-Realität war ernüchternd: Am 4. Juli 1934 ziehen Arbeitslose nach einer Versammlung in der Rozengracht durch das Amsterdamer Arbeiterviertel Jordaan. Lautstark machen sie ihrer Wut Luft: Ihre ohnehin geringe Arbeitslosen-Unterstützung ist zum 3. Juli um zwölf Prozent gekürzt worden. Es kommt zu Kämpfen mit der Polizei.
    5. Juli – In mehreren Arbeitervierteln Amsterdams, aber vor allem im Jordaan, herrscht Aufruhr. Autos werden umgestürzt und angezündet, Geschäfte geplündert, Barrikaden gebaut. Die aufgebotenen Polizisten werden mit Pflastersteinen und Dachziegeln, mit Blumentöpfen und Hausrat aus den Fenstern beworfen. Selbst die berittene Polizei muss sich zurückziehen.
    6. Juli – Der Bürgermeister hat die Armee um Verstärkung gebeten. Sie rückt mit Gewehren, Mörsern und gepanzerten Wagen an. Straße um Straße im Viertel um die Noorderkerk wird von den Soldaten geräumt.
    7. Juli – Am Samstagmorgen ist der Aufruhr im Jordaan vorbei. Die Statistik zählt 5 Tote, 30 Verwundete liegen in den Krankenhäusern, 107 Personen wurden festgenommen. Heute erinnert eine Bronzeskulptur vor der Noorderkerk, wo samstags der große Markt um die Kirche ein

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