Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
ihrer festgefügten Welt des wohlhabenden deutschen Bürgertums. Wenn alles um sie herum aus den Fugen gerät, finden sie Halt an ihrem überkommenen Lebensstil, mag das noch so anstrengend sein. Seit sie im Oktober ihrer Haushaltshilfe kündigen mussten, schreibt Wilhelm Halberstam an Tochter und Familie in Chile, »könnte Muttis Tag tatsächlich 48 Stunden haben. Sie schafft von früh bis spät …« Trotzdem gelingt es ihr nicht, den Haushalt so »mustergültig« zu führen, »wie sie es immer gewöhnt war«. Zum einen ist die Wohnung zu eng, aber vor allem sind die Niederländer, so Wilhelm Halberstam, auf »Derartiges« nicht eingerichtet: »Vieles scheint den Normalmenschen hier als Luxus, was ›bei uns zu Haus‹ Bedürfnis war; besonders was Soigniertheit betrifft.« Sie haben nicht übertrieben, die Amsterdamer, mit ihrem kritischen Blick auf die »Bei-uns-Menschen«.
Keine finanziellen Sorgen hatte die deutsch-jüdische Emigranten-Familie Frank, ebenfalls Amsterdam Zuid. Der Handel mit Opekta, den Otto Frank in den dreißiger Jahren in Amsterdam mühsam begonnen hatte, war ausgebaut und florierte dank Fleiß und tüchtigen, loyalen Mitarbeitern. Am 22. Oktober 1940 wurden durch Verordnung des Reichskommissars alle jüdischen Unternehmen verpflichtet, ihre Betriebe registrieren zu lassen und sämtlichen Besitz offenzulegen. Rund fünfzig Prozent aller Geschäfte wurden anschließend von den Besatzern liquidiert, die andere Hälfte erhielt einen neuen »arischen« Verwalter, nicht selten ein Anhänger der NSB , die auf diesem Weg endlich vom deutschen Sieg profitieren konnte.
Offensichtlich wurde Otto Frank von dieser Zwangsverordnung nicht überrascht. Es gelang seinen nichtjüdischen Mitarbeitern mit Franks Geld ein Ausweich-Unternehmen zu gründen. Das Opekta-Geschäft wurde nicht liquidiert, und daneben gab es nun ein »arisches« Unternehmen, das bei Gefahr Franks »jüdische« Aktien übernehmen würde. Otto Frank konnte seinen Töchtern Margot und Anne weiterhin viele Wünsche erfüllen.
Die beiden Schwestern warteten sehnlich darauf, dass im Dezember in der Apollohalle endlich die Kunsteisbahn eröffnet würde. Jede freie Minute verbrachten sie dort; Anne mit den alten Schlittschuhen ihrer Schwester, die mit einem Vierkantschlüssel an die Schuhe geschraubt wurden. Alle ihre Freundinnen liefen auf modernen Schlittschuhen, die direkt an den Schuhen befestigt waren und deshalb viel besser saßen. Anne quengelte so lange, bis die Eltern auch ihr neue kauften. Das erfuhren die Verwandten in der Schweiz in einem Brief Anne Franks vom 13. Januar 1941, mit dem Zusatz: »Ich habe nun regelmäßig Unterricht im Kunsteislauf, da lernt man Walzer, Sprünge und alles, was beim Kunsteislauf dazugehört.«
Von der feinen Rivierenbuurt in Amsterdam Zuid, wo die Franks wohnten, mit den breiten Bürgersteigen und den baumbepflanzten Boulevards, fuhr die Straßenbahn in gut fünfzehn Minuten bis in die Innenstadt. Dort, am Rembrandtplein, betreten am 14. Dezember etwa siebzig Männer, davon zwanzig in WA -Uniform, das beliebte Lokal Heck’s Lunchroom. Sie sind mit Stöcken bewaffnet und versuchen, Schilder mit der Aufschrift »Juden unerwünscht« anzubringen. Es ist Samstag; die weitaus meisten der rund achthundert Gäste sind empört, protestieren laut und werden von den Eindringlingen in eine heftige Saalschlacht verwickelt. Nicht weit entfernt, im Café Savoy, stürmen rund einhundertfünfzig Schwarzhemden den Raum, jagen die jüdischen Gäste hinaus und befestigen erfolgreich die »Juden-Schilder«.
Als alles vorüber ist, entschuldigt sich ein uniformierter WA -Anführer, die Aktion sei aus dem Ruder gelaufen, man werde für den Schaden aufkommen. Dann stattet er im nahegelegenen Café Het Brouwerswapen, wo Hans Böhmcker mit seinen Leuten Stammgast ist, Bericht ab. Der Vorgang bleibt nicht unbemerkt und bestärkt die Amsterdamer Polizei in der Vermutung, dass es zwischen den Besatzern und rechtsradikalen niederländischen Gruppierungen heimliche Absprachen gibt. Auch wenn die Deutschen offiziell beteuern, dass die Leute von der WA und der NSB sich an Recht und Ordnung halten müssen, schüren sie insgeheim die Unruhen in der Hauptstadt.
Das Jahr 1940 ist fast zu Ende, da schlendern zwei gutbürgerlich gekleidete Herren mit ihren Ehefrauen in winterlicher Mittagssonne über den Judenmarkt am Waterlooplein. Leutselig schauen sie den Verkäufern zu, die ihre Waren anpreisen. Die Herren sind der deutsche
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