Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Generalkommissar für die Bereiche Finanzen und Wirtschaft vom Reichskommissariat in Den Haag und Hans Böhmcker, der Beauftragte des Reichskommissars für die Stadt Amsterdam. Die Umstehenden schauen ebenfalls freundlich, sie ahnen nicht, wer da neben ihnen steht.
Auf dem Boden ist Flohmarktware ausgebreitet, an Ständen werden unter hellen Planen Nahrungsmittel verkauft. Ein »Judenmarkt« ist eigentlich nicht der Ort, an dem sich der deutsche Jurist Böhmcker, überzeugter Nationalsozialist und radikaler Antisemit, wohlfühlt. Gerade mal zwei Monate später werden die Gedanken, die ihm beim Gang über den geschäftigen Waterlooplein durch den Kopf gingen, im hellen Licht des Tages Gestalt annehmen.
VI
Für Juden verboten – Willige Helfer – Judenviertel gesperrt – Razzien: 427 Männer deportiert – 25. Februar: Fröhlicher Streik – Alptraum: 9 Tote, 15 Millionen Gulden Buße – Juden sind keine Niederländer
1. Januar bis 12. März 1941
Als die Zeiger der Uhren auf Mitternacht sprangen und auf dem Kontinent Europa der erste Tag des neuen Jahres begann, blieb es still in Amsterdam. Keine Glocken läuteten, keine fröhlichen Stimmen, die Neujahrswünsche in die Nacht riefen. Aber als die Uhren 1 Uhr 40 anzeigten, und nach der alten, niederländischen Zeit – von den Siegern im Mai 1940 an die »deutsche Zeit« angepasst – das alte Jahr zu Ende war, platzten an vielen Stellen der Stadt lautes Hallo und lärmende Rufe in die Stille. Menschen erschienen auf den Balkonen. In der Jan Steenstraat im bürgerlichen Viertel am Sarphatipark hielt ein Bewohner durchs Megaphon eine kleine Ansprache, und dann sangen alle ringsum auf den Balkonen die Nationalhymne, das seit der Kapitulation am 15. Mai 1940 nicht mehr gehörte »Wilhelmus«, ein Treuelied auf das Königshaus der Oranier. Ein kleines widerborstiges Zeichen zum ersten Jahreswechsel unter fremder Herrschaft: trotziger Stolz verbunden mit der Selbstvergewisserung, dass die alten Freiheiten der Niederlande, die das Lied beschwört, wiederkehren werden. Allerdings eine Demonstration im Dunkeln, im Schutz der Nacht.
In den Vierteln Jordaan und Kattenburg hatten die Bewohner zum Jahresende 1940 auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht. Eigentlich war Arbeitslosigkeit auf den Werften kein Thema mehr, seit die Aufträge der deutschen Wehrmacht einliefen. Doch wegen des extrem harten Winters wurden ein großer Teil der Werftarbeiter und dazu rund 10 000 Amsterdamer, die im städtischen Arbeitsbeschaffungsprogramm beschäftigt waren, nach Hause geschickt. Als dann auch noch die Arbeitslosenunterstützung auf dreizehn Gulden pro Woche gekürzt wurde, marschierten hunderte Arbeiter am 21. Dezember 1940 durch die Innenstadt, forderten einen Winterzuschlag statt Kürzungen und kündigten für den Jahresanfang weitere Demonstrationen an. Anfang Januar sind die Schneefälle so heftig, dass keine Straßenbahnen mehr fahren.
Am 7. Januar melden die Tageszeitungen, dass ab dem 9. Januar an allen Kinos das Schild »Für Juden Eintritt verboten« hängen wird, um die Vorführungen vor »Aufrührern« zu schützen. Das Kinoverbot wurde vom niederländischen Kinobund erlassen. Die deutschen Besatzer hatten nichts dergleichen gefordert. Doch sehr genehm waren ihnen die Auftritte der WA -Männer, die in immer mehr Cafés und Lokalen mit Gewalt die »Juden-Verbots-Schilder« durchsetzten.
Ende Januar tauchen in Amsterdam Flugblätter auf und fordern »Kein Kinobesuch im Februar«, um gegen diese »schändliche Maßregel« zu protestieren. »Man kann etwas dagegen tun«, wenn man »dieses kleine Opfer für eine große Sache bringt«, um den Nationalsozialisten zu zeigen, »wie sehr das niederländische Volk ihre Judenverfolgung verachtet«. Tatsächlich nimmt der Besuch in Amsterdamer Kinos im Februar weiter ab. Aber leer bleiben sie nicht. Niemand begehrt auf oder malt heimlich eine Parole an öffentliche Gebäude, um gegen den Ausschluss der jüdischen Bürger von einem wichtigen öffentlichen Lebensbereich zu protestieren.
Am 10. Januar hatte Reichskommissar Seyß-Inquart die Verordnung Nr. 6 »über die Meldepflicht von Personen, die ganz oder teilweise jüdischen Blutes sind« erlassen. In den folgenden Wochen erhalten die Gemeindeverwaltungen praktische Anweisungen, die alle von den höchsten niederländischen Beamten in Den Haag abgezeichnet sind. Als »teilweise jüdisch« gelten Personen, wenn »sie auch nur von einem der Rasse nach
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