Leben mit Hochsensibilitaet

schmerzlich abwesend sein. Es ist eine Erscheinung, die allerorts um sich greift – und ist das Entgegengesetzte von liebevoller Hilfsbereitschaft und Akzeptanz.
    Hochsensible Kinder gehören in der Regel nicht zu dieser Sorte Kinder. Sie gehören nicht zu den Kindern, die gravierende Probleme verursachen. Sie sind meistens weder gewalttätig noch unverschämt. Sie stehlen und lügen weniger, ärgern und schikanieren die anderen weniger. Die meisten von ihnen sind eifrig und lernen gern. Sie leiden besonders unter den Rüpeln; sie leiden unter der Aggressivität anderer. Die schulische Umgebung ist für ein hochsensibles Kind ein schwieriges Umfeld, da dort dermaßen viel Negatives abläuft. In Schulen wird gestraft und schikaniert. Der Lärmpegel ist meist hoch; Lehrer passen ihr Lautstärkeniveau vielfach an das der unruhigsten Kinder, die am wenigsten zuhören wollen, an. Hochsensible Kinder sind stressempfindliche Kinder. Sie fühlen sich schneller bedrängt, schneller überrumpelt durch andere und lassen sich eher zur Seite schieben.
    Meiner Meinung nach fehlt es an intuitiver und inspirierter Betreuung an den Schulen. Wünschenswert und hilfreich wäre Förderung in Bereichen wie: soziale Fertigkeiten, psychologische Kenntnisse bezüglich des eigenen Verhaltens und des Verhaltens von anderen, Möglichkeiten der persönlichen, seelisch-geistigen Entfaltung. Den Kindern werden wenig oder gar keine Angebote gemacht, die ihnen helfen könnten, sich selbst in dem Kontext zu verstehen, in dem sie aufwachsen. In diesen Bereichen sind die Schulen entschieden ungenügend. Nicht nur die Rabauken, sondern vor allem die hochsensiblen Kinder brauchen eine mehr inspirierende, intuitive Art der Betreuung. Das entspricht dem Wesen dieser Kinder, doch in der Schule erleben sie, dass solch eine Wesensart keinen Platz hat. Dadurch fühlen sie sich schnell als Außenseiter. Vielleicht gibt es sogar genügend hochsensible Lehrkräfte, die nur allzu gerne anders unterrichten würden. Kindertherapeutin Joanne van Wijgerden sagt: „Die Schule ist ein Institut, in dem es intuitive Kinder schwer haben, denn das Schulsystem geht von Kenntnissen undFertigkeiten aus (Lesen und Rechnen), die nach festen Methoden und in vom System festgelegten Zeiten in ein Kind gepumpt werden. Intuitive Kinder haben durch ihre Intuition Zugang zu einem Wissen, das viel weiterreicht als die eindimensionale Sichtweise der Gesellschaft.“ 34
    Ein Lichtblick ist die „Herz-Hirn-Methode“. Aus Amerika hat es dieses Unterrichtssystem hierher geweht. Die „Herz-Hirn-Methode“ hilft Kindern durch ein ausgeklügeltes Computerprogramm, zu begreifen, wie man Lernen mit Körperbewusstsein verbinden kann. Bei diesem System gehören Bewegungsübungen und regelmäßige kurze Pausen zum Unterricht. Die Bewegungen halten die Kinder wacher, fördern die Links-Rechts-Koordination des Hirns und sorgen für eine bessere Sauerstoffaufnahme. Wichtig ist ein technischer Aspekt: Über Sensoren wird der Herzrhythmus der einzelnen Kinder auf Computer übertragen. Auf dem Bildschirm sehen die Kinder einen Ballon, der sich nach oben oder unten bewegt in Abhängigkeit von den Sensordaten. Je entspannter sie sind, desto höher steigt der Ballon auf. Und je entspannter ein Kind ist, desto weniger hat es Angst vor Fehlschlag und Stress. Die Kinder stärken sich in ihrem Selbstbewusstsein, indem sie Kontakt mit dem Gebiet des Herzens aufnehmen. So lernen sie, sich zu entspannen und aufmerksam zu sein (man vergleiche diesen Zustand mit dem Yin-Aspekt, den ich in Kapitel 2 beschrieb). Sie erlernen also eine ruhige, meditative Haltung. Das fördert neben vielen anderen Dingen auch die Aufnahme des Lehrstoffs. Es ist ein interessantes System, durch das Kinder über ihre eigene Erfahrung Einsicht in das Funktionieren des menschlichen Organismus erhalten. 35
    Manche hochsensiblen Kinder sind übrigens stark kognitiv eingestellt. Sie wollen alles mit ihrem Verstand begreifen und sind auf dieser Ebene äußerst lernbegierig. Es kann vorkommen, dass diese Kinder ihre Sensibilität nicht gut einordnen können, weil sie so verstandesmäßig und verbal orientiert sind. Was sie intuitiv erfahren, können sie nicht gut in Verbindung bringen mit ihrem rationalen Zugang. Was sie in ihrem Bauch fühlen, stimmt nicht übereinmit dem, was sie im Kopf haben. Das kann für diese Kinder recht verwirrend werden. Jedes Kind reagiert natürlich anders. Manche reagieren mit unruhigem oder gar aggressivem