Leben mit Hochsensibilitaet
in ihnen zum Vorschein brachten. Hans (38, Ingenieur und Entwicklungshelfer): „Als Kind war ich häufig auf mich alleine gestellt, weil meine Eltern mit ihrem Geschäft so beschäftigt waren. Ich fand das aber nicht schlimm. Ich zog alleine los oder spielte in meinem Zimmer. In meiner Vorstellung hatte ich einen Spielkameraden, dem ich bedeutungsschwere Briefe schrieb, die ich mit farbenfrohen Zeichnungen ausschmückte. Neben Lebensgeschichten anderer stellten meine Bilder vor allem meine eigene Zukunft dar. Ich zeichnetemich selbst in einer Umgebung, in der ich gerne leben wollte. Ich weiß, dass ich mein tiefes inneres Wesen in diesen Momenten sehr deutlich erlebte. Ganz anders, als wenn ich in der Schule war oder mit meiner Familie. Vielleicht haben mir die Zeichnungen und Gespräche, die ich mit meinem unsichtbaren Freund führte, eine Richtung gegeben. Ich weiß es nicht. Aber das Bemerkenswerte ist, dass letztendlich meine Vorstellungen wahr geworden sind. Ich mache nun genau das, was ich mir damals in diesen Zeichnungen vorgestellt hatte. Ich arbeite in verschiedenen Entwicklungsländern, in Dörfern und Städten, eng mit der örtlichen Bevölkerung zusammen. Dabei findet ein wertvoller Austausch statt. Ich liefere technische Sachkenntnisse und erfahre mit meinen Freunden und Kollegen eine Lebensfreude, die man hier in Westeuropa nicht kennt. Meine Arbeit erlebe ich als befriedigend und sinnvoll. Ich denke häufig zurück an den kleinen Jungen, der seine Zukunft auf Papier zeichnete.“
Die meisten Hochsensiblen werden meiner Erfahrung nach nicht gleich von sich aus über ihre tiefsten Erfahrungen sprechen. Meistens muss man erst die richtigen Fragen stellen, um das Gespräch auf Themen wie Glaube oder Spiritualität zu bringen. Vertrauen und die richtige Atmosphäre sind Voraussetzung. Transzendente Erfahrungen sind kostbare Erfahrungen. In unserer westlichen Kultur haben wir noch nicht einmal einen passenden Wortschatz, um offen und ohne Scheu über Spiritualität und damit verbundene Themen zu sprechen. Aus dem einen oder anderen Grund gelingt es Hochsensiblen meistens besser, über ihre Probleme, ihre körperlichen und emotionalen Schmerzen und die Verletzungen, die sie sich zugezogen haben und noch stets zuziehen, zu sprechen, als über die Kraft, die sie in ihrem Inneren haben, die sie antreibt und ihnen ihren Enthusiasmus gibt. Und doch ist diese inspirierende Kraft essentiell für Hochsensible, gerade weil sie ihnen die Stärke schenkt, dann durchzuhalten, wenn es aussichtslos erscheint.
„Wenn ich verfolgt werde von Schnee, Regen, Wind und
Dunkelheit,
lass mich dann sehen mit den himmlischen Augen klarer
Weisheit.“
TIBETISCHES TOTENBUCH .
Für den einen ist es das Kosmische, für den anderen das Entdecken des höheren Selbst. Ein Dritter spricht von Gott. Wenn wir inspiriert sind, gelangen wir in einen Zustand, in dem wir uns in etwas Größeres aufgenommen fühlen und uns gleichzeitig öffnen. Ein Geschmack, ein Geruch, ein Wort oder ein Klang kann uns jäh ein ekstatisches Gefühl von Friede und Freude schenken. Wir wissen dann, ohne dass es uns jemand erklären muss: Das ist es – darum geht es. Als seien wir zur Essenz des Lebens selbst vorgestoßen (und vielleicht sind wir das auch). Inspiration ist ein bestimmtes ekstatisches Gefühl. Es verbindet uns mit dem Sichtbaren wie auch dem Unsichtbaren. Inspiration kann ebenso gut begeisternd sein als auch in Stille münden. Sie versüßt das Leben und bringt uns zur Blüte. Vielleicht verbinden wir uns zu den Momenten der Inspiration mit dem Strom des Seins, der durch alles Leben fließt, mit dem Atem des Lebens. Manche Menschen werden sagen, dass sie zu solchen Momenten mit dem Göttlichen, mit der Ur-Energie zusammenfließen. Andere nennen es ausdrücklich: Liebe. Wieder andere geben dem eine etwas nüchternere Erklärung. Auf jeden Fall ist Inspiration für Hochsensible wie die Luft, die sie zum Atmen brauchen. Sie nährt ihre inneren Bedürfnisse und gibt ihnen neue Kraft, um weiter zu gehen. Diese Berührung der Seele ist eng verbunden mit Kreativität, und so ist es nicht verwunderlich, dass sie in vielen Künsten besungen und beschrieben wird.
Inspiration macht für kritische Augen auch den Unterschied zwischen guter und schlechter Kunst aus. Manchmal merkt man, dass ein Gedicht oder Musikstück elegant und schön zusammengestellt, aber darüber hinaus inhaltslos ist und einen nicht berührt.Die Inspiration fehlt, sagt man dann. Auch
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