Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
heute üblich ist, dann zeigen 40 Prozent der bereits an Metastasten Leidenden eine sehr gute Reaktion. Das heißt in diesem Fall, dass der Tumor bei ihnen um 50 Prozent schrumpft. Dann kommt der Krebs wieder, das heißt die Patientinnen erleiden einen Rückfall, und ich verordne denselben Patientinnen das Paclitaxel einmal wöchentlich in veränderter Dosis anstatt nur alle drei Wochen. Diesmal reagieren nur noch 30 Prozent positiv. Kommt es dann zu einem zweiten Rückfall, gebe ich den Patientinnen das Paclitaxel 96 Stunden lang über eine Dauerinfusion, und 20 bis 30 Prozent von ihnen sprechen darauf an. Ich kann nicht sagen, ob das Mittel jedes Mal auf die gleiche Art und Weise wirkt. Wir kennen den Wirkmechanismus nicht. Vielleicht ändert die Chemotherapie das komplexe Zusammenwirken des Körpersystems, genau wie es die Förderung der Knochenbildung getan und das Risiko eines Rückfalls bei Brustkrebs gesenkt hat, oder genau wie das Platinderivat bei Lance Armstrong zur Genesung führte.
Kurz gesagt – unsere Körpersysteme verändern sich, und zwar ununterbrochen. Sie sind dynamisch, und zwar viel dynamischer als unsere Laborversuche in Reagenzgläsern und Gewebekulturen. Meine Hoffnung ist, dass eine neue Generation von Therapien bei solchen Systemveränderungen ansetzt und damit die Körperumwelt so verändert, dass ein gesünderer Zustand eintritt. Es ist gut möglich, dass wir bereits alle Medikamente haben, die wir brauchen, um den größten Teil aller Krankheiten zu behandeln – selbst diejenigen, die durch einen Zusammenbruch des Systems und nicht durch einen Erreger von außen ausgelöst werden. Wir wissen nur noch nicht, wie wir dieses Arsenal einsetzen sollen (Methode), wie viel wir jeweils davon brauchen (Dosierung) und wann wir es verabreichen müssen (Zeitplan). Zukünftige Technologien für das Sammeln von Gesundheitsdaten werden diesen Gedanken hoffentlich konkretisieren. Angesichts der angeführten Beispiele, wie Medikamente wirken, indem sie die Umwelt des Körpers oder eines Organs verändern, müssen wir uns fragen, welche anderen Medikamente wir kennen, die gegen die Krankheit X verschrieben werden, aber gegen Y und Z Wunder wirken?
Die Vorstellung, dass die Umwelt – und hier insbesondere die Veränderung der Umwelt – eine entscheidende Rolle sowohl bei der Behandlung wie beim Verlauf einer Krankheit spielen kann, gilt auch für die pharmazeutische Forschung im Allgemeinen. Wenn ich gefragt werde, warum die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs im Tierversuch gewöhnlich nicht funktioniert oder die Wirkungen kaum auf den Menschen übertragbar sind, gebe ich immer drei Hauptgründe an. Erstens wachsen Tumore im Menschen langsam verglichen mit denen in Versuchstieren, bei denen wir in zwei Wochen Karzinome von 20 bis 30 Prozent der Körpergröße des Tieres erzeugen können. Das ist eine ungeheure Wachstumsrate. Wenn ich einer Maus ein Medikament verabreiche, das aber Übelkeit verursacht, sodass die Maus weniger isst, wächst der Tumor dieser Maus sehr viel langsamer. Der Tumor hungert gleichsam, weil die Nährstoffzufuhr abgeschnitten ist; er braucht aber viele Nährstoffe, da sich seine Zellen häufiger teilen als normale Körperzellen. Wirkt nun das Medikament tatsächlich oder liegt der Effekt daran, dass die Maus weniger isst? Das kann man im Tierversuch nicht feststellen. Die beiden »Umwelten« Mensch und Versuchstier sind radikal unterschiedlich.
Zweitens ist es schwierig, menschliche Tumore mit denen anderer Tierarten zu vergleichen. Menschliche Tumore sind oft einzigartig, und wenn wir sie in einem anderen Tier replizieren wollen, erreichen wir nie dieselben Eigenschaften, die wir bräuchten, um sie erforschen und manipulieren zu können. Und die Umwelt ist, wie wir gesehen haben, entscheidend für das Wachstum des Tumors. Die Umwelt des menschlichen Körpers in einem Versuchstier nachzubilden, ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich.
Schließlich ist es auch ein großes Problem, die Wirkungsweise verschiedener Medikamente in verschiedenen lebendigen Körpern zu überwachen und nachzuvollziehen. Wenn ich einem Menschen oder einem Tier ein Medikament verabreiche, setze ich damit eine Kaskade von Ereignissen in Gang, und diese Ereignisse hängen von individuellen Faktoren wie Stoffwechsel, Dosierung, Zeit und so weiter ab. Wie gesagt, es ist schwierig, denselben Medikamententest an zwei verschiedenen Organismen genau identisch zu wiederholen, und die
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