Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
mir in meiner biomedizinischen Blase irgendwie nutzen könnte. Später erfuhr ich, dass auch Hillis gezögert hatte, mit mir, »irgendeinem Arzt«, zusammenzuarbeiten.
Ich gab schließlich nach und habe es nie bereut, seit ich Hillis persönlich getroffen habe. Etiketten wie »fantastisch«, »kreativ« und »großer Denker« werden diesem Visionär bei Weitem nicht gerecht. Wir taten uns sofort zusammen, und für alles, was er an computertechnischem Yin einbrachte, hatte ich mein biotechnisches Yang, und dies zusammen versprach eine Umwälzung bei der Erforschung des Körpers und der Datensammlung. Wir begannen regelmäßig zu kooperieren und wandten dabei ingenieurtechnische Prinzipien auf meine Proteinforschung an. Unsere Arbeit trug Früchte, und eine Firma, Applied Proteomics, sowie eine große akademische Kollaboration, die das National Cancer Institute finanziert, entstanden daraus.
Über die Jahre habe ich von Hillis viel gelernt, und heute lachen wir, wenn wir daran zurückdenken, wie wir uns begegneten. Er hat eine geradezu unheimliche Art, komplexe Themen aus meinem Fachgebiet so einfach zusammenzufassen, dass nicht nur der Laie mitkommt, sondern auch tatsächlich eine neue Perspektive entsteht. Hillis sieht die DNA eher als Inventarliste denn als umfassende Blaupause. Die DNA gleicht mehr der Aufzählung des Lebensmittelbestands in einem Restaurant. Machen wir einfach das kleine Gedankenspiel, mit dem Danny mir das einmal erklärt hat, und Sie verstehen bestimmt auch, was ich meine. Stellen Sie sich Ihr Lieblingsrestaurant vor. Jetzt tun Sie so, als wollten Sie die Gesundheit dieses Restaurants feststellen. Wenn Sie eine Liste aller Lebensmittel und Zutaten hätten, die sich in der Küche finden, dann könnten Sie schon einiges darüber sagen. Sie würden daran zum Beispiel erkennen, ob es sich um ein französisches oder ein chinesisches Restaurant handelt. Aber ob es sich um ein gutes oder schlechtes, ein gesundes oder krankes Lokal handelt, könnten Sie wohl nicht sehen. Das menschliche Genom muss man sich so ähnlich vorstellen. Man kann einen Europäer und einen Asiaten leicht an ihren »Zutaten« voneinander unterscheiden, aber deswegen nichts über ihren allgemeinen Gesundheitszustand sagen. Man kann wahrscheinlich über eine Menge Eigenschaften nichts sagen, zum Beispiel Persönlichkeit, Intelligenz, Sozialverhalten und Angewohnheiten oder ob jemand lieber Schokoladen- oder Vanilleeis mag. Außerdem bedenken Sie: Wenn Sie krank werden, haben Ihre Gene sich deswegen nicht verändert. Kann aber die Krankheit vielleicht etwas über Genomdefekte aussagen?
Stellen wir uns wieder das Restaurant zum Vergleich vor. Wenn in einem französischen Restaurant Margarine statt Butter verwendet wird, dann könnte das ein Problem (»Defekt«) sein; wenn es einen großen Salzvorrat hätte, könnte das darauf hindeuten, dass die Gerichte möglicherweise zu stark gesalzen werden (auch ein »Defekt«). Aber um das wirklich herauszufinden, müsste man die Speisen schon probieren. Die Zutatenliste genügt nicht. Die Qualität der Gerichte hängt von vielen Details wie der Kombination oder Verarbeitung der Zutaten ab – sprich: vom Kochen. Im menschlichen Körper entspricht diesem Kochen in etwa der Vorgang, wie der Körper mittels der DNA seine magische Mischung von Proteinen erzeugt.
Wo Darwin sich beim Verständnis der DNA geirrt hat
Die Genetik steht aus guten Gründen so sehr im Rampenlicht. Erstens gehört sie zu den größten Triumphen der theoretischen Biologie. Vielleicht ist sie sogar die größte Erfolgsgeschichte der Biologie überhaupt, weil sie eben als Theorie begann und später in der Praxis bestätigt wurde, was sonst in diesem Fachgebiet kaum vorkommt, während es zum Beispiel in der Physik keineswegs selten ist. Bevor die Existenz Schwarzer Löcher nachweisbar war, wurden sie bereits als Modellvorstellung – also mehr oder weniger in Gleichungsform – postuliert. Und siehe da, bald darauf wurden sie tatsächlich entdeckt. Wie ich in der Einleitung bereits erwähnt habe, hat auch Murray Gell-Mann die Quarks zunächst mathematisch beschrieben; später erst wurden sie in der Praxis nachgewiesen.
Diese Art Entdeckung, die Bestätigung eines theoretischen Postulats, gibt es in der Biologie nicht. Die Biologie ist vielmehr voller Dogmen, die auf praktischen Beobachtungen statt auf Vorannahmen beruhen. Es gibt allerdings eine relativ junge Ausnahme: die DNA und das Genom. Die Existenz von Genen
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