leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
den Sprachgebrauch förde r ten . Didaktisch hatte sie auch einige Fächer zu erledigen, bis sie endlich ihre heiß-ersehnte Masterarbeit schre i ben konnte, um ihren Bachelor in einen Master zu verwa n deln . Ihre Freunde waren sehr stolz auf sie, hatte sie doch keine Eltern mehr, die sich an ihrer Leistung erfreuen konnten. So blieb ihr eine Tante, bei der sie in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs . Ämilanas Eltern fanden den Tod bei einer D e monstration gegen den Kommunismus und wu r den auf offener Straße erschossen. „Nicht daran denken“, hauchte sie über ihre Lippen, fast nicht fühlbar. Ämilana blieb nach bestandener Di p lomprüfung noch für ein weiteres halbes Jahr in Österreich, wo sie einer Vergewalt i gung zum Opfer f iel, während sie noch ein paar Kurse für Ausländer, die schwer oder gar kein Deutsch sprachen, absolvierte. Mitt en im Stadtpark wurde sie aufs Ü belste b eschimpft und schließlich von ein paar jugendlichen Männern (Ausländern) vergewaltigt. Daraufhin ging sie wieder zurück in ihre Heimatstadt, versuchte in Therapiestunden die Verga n genheit nun mal das sein zu lassen, was sie war: vergangen, und scheute sich nicht davor noch einmal durchzustarten. „Ich lasse mich nicht unterkriegen“, war ihr täglicher Leitspruch, den sie – jeden Tag von neuem – in ihr Tag e buch schrieb, so wie jetzt auch.
Christiane, die ihren Koffer sorgfältig ausgepackt hatte, starrte auf die Uhr. E s war mittlerweile 13:00. Zeit, um zum Mittagessen zu gehen. S ie ging nicht ! Es war ihr peinlich als dickste Frau in der Runde die E rste am Mittagstisch zu sein. Sie schluckte ihre Schüsslersalze. Seit Jahren sah sie, wie die Behälter sich leerte n , ihr Gewicht aber konstant gleich hoch blieb. „Ich bin mir sicher, die helfen nichts. Verschrieb mir auch mein Mann“, murmelte sie mich hochgezogener Augenbraue vor sich hin.
Ihr Zimmer war klein, aber geräumig. Sie war Singlebetten gewohnt, sie lag schon seit Jahren in e i nem solchen, warum sollte es hier – im Urlaub – anders sein? Komisch, dachte sie sich, zuhause hatte sie soviel um die Ohren, ihre Kinder, ihre Schwiegerkinder, ihren schwulen Eh e mann, da kam der Gedanke an ein Bett gar nicht auf. D ie Bettdecke im Hotelzimmer war beim Berü h ren kaum steif oder hart , und der Fußboden mit einem angenehmen Teppich ausgestattet. Nicht so unnachgiebig wie in anderen Hotels. Da sie ihren schwulen Ehemann jedes Jahr zu einer U r laubsreise zwang, und sie selbst auch einige Hotelbesuche auf seine Kosten unternahm, wusste sie von den schlechten Teppichen in Hotels zu sprechen. Direkt an der Breitseite ihres Bettes gelangte man zur Terrassen t ür. Sie kaute nun an einem Kaugummi und öffnete die Terra s se. Schön war sie, schlingpflanzenartig bewachsen . Schon bei der Vorfahrt zum Hotel hatte sie das Zeug an der Hotelmauer hinauf wachsen gesehen . „Wilder Wein“, sagte sie und ihr Magen begann zu knu r ren. „Nein, wir warten noch, es ist er st 13:01 “, sagte sie , schloss die Tür – es war doch recht frisch – und betrachtete sich vor dem Spiegel , der am Kasten ang e bracht war . „Fett, da ist Fett, lass das, wir war ten.“ Wie mit einem kleinen Kind sprach sie mit sich, dem gerade verboten wurde, auf dem Spielplatz zu spielen, weil es nicht artig genug war. Und sie zwickte sich in die linke Hü f te.
Auf einmal hörte Christiane das Zufallen einer Tür , sie spähte durch den Spion und sah, dass es Ian war. Ein en t spann ter Seufzer entwich ihr und derweil hatten sich schon Schweißperlen auf ihrer Stirn angesammelt . Als Ian an ihrem Hotelzimmer vorüberging , wollte sie nur noch eine Minute warten , ehe sie ihm in den Speisesaal folgte. Sie berührte ihre Hosentasche und prü f te ihr Handy . S taunend musste sie feststellen, dass niemand, nicht ei n mal ihre Kinder – von ihrem schwulen Ehemann ganz zu schweigen – angerufen hatte n . Christiane fiel auf, dass sie das erste Mal seit langem keine Kontrolle über irgendwen besaß . Sie konnte nicht überprüfen, ob sich ihr schwuler Ehemann wohler oder unwohler bei seinem Freund, dem Klaus , dem jungen Mann, den sie aus seinem Leben verschwinden wissen möchte, fühlte . Letzten Ende s würde sie auch diese Beziehung , wie jeden an dere Beziehung auch , die ihr schwuler Ehemann seit seinem inte r nen Familien-Outing geführt hatte ( um glücklich zu werden ) , mit ihren geschickten Sprüchen diskr e ditieren. Und sollte tatsächlich einmal die Liebe zwischen ihrem
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