Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
keine Spuren der Zerstörung hinterlassen. Das änderte sich Anfang jenes Jahres, als unser Freund Carlos Alemán im vornehmen Kreis Mompox zum Abgeordneten des Bezirksrats gewählt wurde. Carlos war ein frisch gebacke-ner Rechtsanwalt und ein fröhliches Gemüt, doch der Teufel spielte ihm den bösen Streich, dass sich in der Eröffnungssitzung die beiden gegnerischen Parteien einen Schusswechsel lieferten und eine verirrte Kugel sein Schulterpolster versengte. Alemän muss sich nicht ohne Grund gedacht haben, dass eine so unnütze Legislative wie die unsere es nicht verdiente, sein Leben für sie zu opfern, und zog es vor, seine Diäten im Voraus in der guten Gesellschaft seiner Freunde auszugeben.
    Oscar de la Espriella war ein mit allen Wassern gewaschener Nachtschwärmer und meinte mit William Faulkner, dass für einen Schriftsteller das Bordell der beste Wohnort sei: Ruhe am Vormittag, nachts immer Betrieb, und außerdem noch gute Beziehungen zur Polizei. Der Abgeordnete Alemán nahm das wörtlich und bewährte sich rund um die Uhr als unser Gastgeber. In einer jener Nächte bereute ich jedoch, Faulkners Illusionen aufgesessen zu sein, als ein ehemaliger Zuhälter von Mary Reyes, der Hausherrin, die Tür aufbrach, um den etwa fünfjährigen gemeinsamen Sohn zu entführen, der bei Mary lebte. Der aktuelle Beschützer, der Polizeioffizier gewesen war, kam in Unterhosen aus dem Schlafzimmer, um die Ehre und die Güter des Hauses mit seinem Dienstrevolver zu verteidigen, doch der Eindringling empfing ihn mit einer Kugelsalve, die wie Kanonendonner im Tanzsaal widerhallte. Der Sergeant versteckte sich verängstigt in seinem Zimmer. Als ich halb bekleidet aus dem meinen kam, betrachteten die Kurzzeitmieter von ihren Zimmern aus alle den kleinen Jungen, der am Ende des Gangs pinkelte, während ihn sein Vater, der in der Rechten den noch rauchenden Revolver hielt, mit der linken Hand kämmte. Zu hören waren nur die Schimpftiraden Marys, die dem Sergeanten vorwarf, ein Weichei zu sein.
    In jenen Tagen kam einmal unangemeldet ein riesenhafter Mann in die Büros der Zeitung, zog sich mit großem Sinn für Theatralik das Hemd aus und spazierte durch die Redaktionsräume, um uns mit seinem Rücken und seinen Armen zu beeindrucken, die von steinharten Narben übersät waren. Bewegt davon, dass er uns so in Staunen versetzt hatte, erklärte er uns die Verheerungen auf seinem Leib mit Donnerstimme :
    » Löwenkratzer!«
    Das war Emilio Razzore, gerade in Cartagena angekommen, um alles für die Ankunft seines berühmten Familienzirkus vorzubereiten, eines der großen der Welt, der in der Woche zuvor mit dem Ozeandampfer Euskera unter spanischer Flagge Havanna verlassen hatte und am nächsten Samstag erwartet wurde. Razzore brüstete sich damit, schon vor seiner Geburt dem Zirkus angehört zu haben, und man musste ihn nicht in Aktion gesehen haben, um zu erkennen, dass er Dompteur für Raubtiere war. Er rief sie bei ihren Namen, als seien sie Familienmitglieder, und sie revanchierten sich mit einem ebenso innigen wie brutalen Verhalten. Er ging unbewaffnet in die Käfige der Tiger und Löwen, um sie mit der Hand zu futtern. Sein verhätschelter Bär hatte ihn so liebevoll umarmt, dass Razzore einen Frühling lang im Krankenhaus liegen musste. Die große Attraktion des Zirkus waren aber weder er noch der Feuerschlucker, sondern der Mann, der sich den Kopf abschraubte, diesen unter den Arm klemmte und um die Manege lief. Unvergesslich an Emilio Razzore war seine Standhaftigkeit. Nachdem ich ihm stundenlang fasziniert zugehört hatte, veröffentlichte ich in El Universal eine Glosse, in der ich die Aussage wagte, Razzore sei »auf eine ungeheuerliche Weise der humanste Mensch«, den ich je kennen gelernt hätte. Das waren in meinen einundzwanzig Jahren zwar noch nicht so viele gewesen, aber ich glaube, der Satz ist heute noch gültig. Wir aßen mit den Zeitungsleuten in La Cueva, und auch dort gewann er die Herzen mit den Geschichten über Raubtiere, die durch Liebe humanisiert wurden. Nachdem ich es mir lange überlegt hatte, traute ich mich in einer jener Nächte, ihn um Aufnahme in seinen Zirkus zu bitten, und sei es nur, um die Tigerkäfige zu putzen, wenn die Tiger nicht drin waren. Er sagte nichts, drückte mir aber schweigend die Hand. Ich verstand das als ein Erkennungszeichen des Zirkus und hielt die Sache für abgemacht. Der Einzige, dem ich es beichtete, war Salvador Mesa Nicholls, ein Dichter aus Bogotá, der eine

Weitere Kostenlose Bücher