Leben, um davon zu erzählen
Café Colombia kamen, waren wir schon seit Jahren befreundet.
Es war eine lange Nacht der Unschuld. Álvaro, ein genialer Chauffeur, der umso sicherer und umsichtiger fuhr, je mehr er getrunken hatte, ließ keine der erinnerungswürdigen Orte auf seiner Route aus. Im Los Almendros, einem Gartenlokal unter blühenden Bäumen, das nur Fanatikern des Deportivo Junior Zutritt gewährte, gerieten sich mehrere Gäste derart in die Haare, dass es fast zu einer Schlägerei gekommen wäre. Ich versuchte, sie zu beruhigen, bis mir Alfonso riet, mich nicht einzumischen, weil es Pazifisten an den Orten der Fußballspezialisten schlecht ergehe. Ich verbrachte also die Nacht in einem Barranquilla, das für mich nicht dieselbe Stadt wie zuvor war, weder die meiner Eltern in ihren ersten Ehejahren, noch die, in der meine Mutter mit uns gegen die Armut gekämpft hatte, auch nicht die des Colegio San José, es war vielmehr mein erstes Barranquilla als Erwachsener, das ich im Paradies seiner Bordelle erlebte.
Der Barrio Chino erstreckte sich über vier Häuserkarrees, in denen Blechmusik die Erde zum Beben brachte, es gab aber auch häusliche Winkel, die wohltätigen Einrichtungen sehr nahe kamen, etwa die familiären Bordelle, deren Besitzer mit ihren Ehefrauen und Kindern den alten Kunden nach allen Regeln der christlichen Moral und der Höflichkeit eines Manuel Antonio Carreno aufwarteten. Manche Wine dienten auch als Bürgen, damit die Lehrmädchen mit Stammkunden auf Kredit schliefen. Bei Martina Alvarado, der ältesten Puffmutter, gab es eine heimliche Hintertür und humane Tarife für reuige Geistliche. Mit den Getränken wurde nicht getrickst, noch hatte man unverschämte Rechnungen oder böse Überraschungen mit Geschlechtskrankheiten zu fürchten. Die letzten französischen Mütterchen aus dem Ersten Weltkrieg, kränklich und traurig, setzten sich abends unter dem Stigma der roten Lampen vor die Haustür und erwarteten eine dritte Generation, die noch an ihre luststeigernden Kondome glaubte. Es gab auch Häuser mit klimatisierten Salons für die Zusammenkünfte von Verschwörern und Refugien für Bürgermeister, die vor ihren Frauen flohen.
Das Gato Negro mit seiner Tanzfläche unter einer Astromelienpergola war das Paradies der Handelsmarine, seitdem es von einer wasserstoffblonden Guajira-India gekauft worden war, die auf Englisch sang und unter der Theke halluzinogene Salben für Damen und Herren verkaufte. In einer Nacht, die in die Annalen einging, konnten Alvaro Cepeda und Quique Scopell den Rassismus von einem Dutzend norwegischer Matrosen nicht länger ertragen, die vor dem Zimmer der einzigen Schwarzen anstanden, während sechzehn weiße Mädchen schnarchend im Hof saßen, und sie forderten die Matrosen zum Kampf heraus. Zwei gegen zwölf schlugen sie die Norweger mit der blanken Faust in die Flucht, unterstützt von den weißen Mädchen, die aufwachten und glücklich mit ihren Stühlen nachhalfen. Zum Schluss, als absurder Akt der Entschädigung, wurde die splitternackte Schwarze zur Königin von Norwegen gekrönt.
Außerhalb des Barrio Chino gab es noch andere legale oder geheime Häuser, die alle gute Beziehungen zur Polizei unterhielten. Eines davon, in einem Armenviertel gelegen, bestand nur aus einem Patio mit riesigen blühenden Mandelbäumen, einem schäbigen Lädchen und einem Schlafzimmer mit zwei Feldbetten zum Vermieten. Als Ware dienten die blutarmen Mädchen der Nachbarschaft, die pro Nummer mit hoffnungslosen Säufern einen Peso verdienten. Álvaro Cepeda hatte den Ort zufällig entdeckt, als er sich bei einem Oktoberplatzregen verirrt und in dem Laden Zuflucht gesucht hatte. Die Wirtin lud ihn auf ein Bier ein und bot ihm statt einem gleich zwei Mädchen an sowie das Recht zur Wiederholung, solange der Regen anhielt. Von da an lud Álvaro Cepeda seine Freunde zu einem kalten Bier unter Mandelbäumen ein, nicht damit sie die kleinen Mädchen vögelten, sondern damit sie ihnen Lesen beibrachten. Den Fleißigsten verschaffte er Stipendien an den Staatsschulen, und eines dieser Mädchen war dann jahrelang Krankenschwester am Hospital de la Caridad. Der Wirtin schenkte Álvaro das Haus, und der erbärmliche Kinderhort behielt bis zu seinem natürlichen Untergang einen verlockenden Namen: »Das Haus der kleinen Mädchen, die sich vor Hunger verkaufen«.
Für meine erste historische Nacht in Barranquilla entschieden sie sich jedoch für das Haus der Negra Eufemia, das einen riesigen zementierten Hof zum
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