Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
der Ecke drei Exemplare des Heraldo, auf dessen Kommentarseite ein mit Puck signierter Beitrag stand; das war Alfonsos Pseudonym für seine Kolumne, die jeden zweiten Tag erschien. Es handelte sich um einen Willkommensgruß, doch Germán machte sich über Alfonso lustig, weil in dem Beitrag stand, dass ich inoffiziell auf Urlaub gekommen sei.
    »Du hättest besser geschrieben, dass er hierher gezogen ist, damit du nicht auch noch einen Abschiedsartikel schreiben musst«, spottete Germán. »Das wäre billiger für eine so geizige Zeitung wie den Heraldo gewesen.«
    Wieder ernst geworden meinte dann Alfonso, dass ein weiterer Kolumnist der Kommentarseite nicht schaden könnte. Doch Germán war im ersten Tageslicht nicht zu bremsen:
    »Das wird ein Fünftkolumnist, immerhin habt ihr schon vier.«
    Keiner von ihnen fragte mich, ob ich dazu bereit sei, und so konnte ich nicht Ja sagen, wie ich es mir gewünscht hätte. Das Thema wurde nicht mehr erwähnt. Und das war auch nicht nötig, da Alfonso mir dann am Abend sagte, dass er mit den Leitern der Zeitung gesprochen habe, man dort die Idee eines neuen Kolumnisten begrüße, vorausgesetzt er sei gut und habe keine großen Ansprüche. Wie auch immer, vor den Neujahrsfeiern konnten sie nichts in die Wege leiten. Also blieb ich mit dem Vorwand dieser Anstellung, auch auf die Gefahr hin, dass sie mich im Februar ablehnen würden.

7
    So kam es, dass am 5. Januar 1950 mein erster Beitrag auf der Meinungsseite von El Heraldo in Barranquilla veröffentlicht wurde. Ich wollte ihn nicht mit meinem Namen unterzeichnen für den Fall, dass ich nicht die richtige Gangart finden würde, wie es mir bei El Universal passiert war. Über das Pseudonym habe ich nicht lange nachgedacht: »Septimus« nach Septimus Warren Smith, dem Wahnsinnigen aus Mrs. Dalloway. Der Titel der Kolumne - »La Jirafa« - war der heimliche Spitzname, unter dem nur ich meine einzige feste Tanzpartnerin auf den Bällen in Sucre kannte.
    Mir schien es, als ob die Januarbrisen in jenem Jahr sehr viel stärker als sonst wehten, denn bis in die Morgenstunden strafte der Wind die Straßen, und man kam kaum vorwärts. Gesprächsthema beim Aufstehen waren die Schäden, die über Nacht von den verrückten Winden angerichtet wurden, wenn sie Träume und Hühnerställe mit sich rissen und die Zinkbleche der Dächer in fliegende Guillotinen verwandelten.
    Heute denke ich, dass diese verrückten Brisen die Stoppeln einer unfruchtbaren Vergangenheit hinwegfegten und mir die Türen in ein neues Leben aufstießen. Mein Verhältnis zu der Gruppe war nun nicht mehr allein von gemeinsamen Vergnügungen bestimmt und wurde zu einer Arbeitsbeziehung zwischen Komplizen. Zunächst besprachen wir die geplanten Themen oder übten Textkritik, die keineswegs pedantisch war, aber nicht übergangen werden durfte. Ein für mich entscheidendes Urteil traf mich, als ich eines Vormittags ins Café Japy kam, wo Germán gerade einen Zeitungsausschnitt mit der »Jirafa« des Tages las. Die anderen aus der Gruppe warteten auf sein Verdikt, saßen um den Tisch, gewissermaßen mit ehrfürchtig angehaltenem Atem, was den Rauch im Raum noch dichter erscheinen ließ. Als er fertig gelesen hatte, zerriss Germán wortlos und ohne mich anzusehen den Zeitungsausschnitt und mengte die Schnipsel zwischen die Kippen und die abgebrannten Streichhölzer im Aschenbecher. Keiner sagte etwas, die Stimmung am Tisch änderte sich nicht, und der Vorfall wurde auch später nicht weiter kommentiert. Doch die Lektion wirkt noch immer, wenn ich aus Trägheit oder aus Eile versucht bin, einen Absatz einfach nur hinzuhauen, um fertig zu werden.
    In dem Stundenhotel, wo ich fast ein Jahr lang wohnte, behandelten mich die Eigentümer schließlich wie ein Familienmitglied. Mein einziger Besitz waren zu jener Zeit meine historischen Sandalen, zwei Garnituren Wäsche, die ich unter der Dusche wusch, und die Ledermappe, die ich während der Tumulte des 9. April im vornehmsten Teesalon von Bogotá geklaut hatte. Ich schleppte darin dauernd die Manuskripte, an denen ich gerade schrieb, mit mir herum, denn sie waren das Einzige, was ich zu verlieren hatte. Ich hätte nicht einmal gewagt, sie in einem siebenfach verschlossenen Banktresor zurückzulassen. Der einzige Mensch, dem ich sie in meinen ersten Nächten im Haus anvertraute, war der verschwiegene Portier Lácides, der sie als Garantie für die Bezahlung des Zimmers annahm. Er sah die getippten und mit Korrekturen wirr

Weitere Kostenlose Bücher