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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Regierung in ihrer Entschlossenheit, um jeden Preis an der Macht zu bleiben, im ganzen Land in Gang gesetzt hatte. Die meisten dieser Liberalen hatten an den Verhandlungen vom 9. April mit Präsident Ospina Pérez teilgenommen, um eine friedliche Lösung zu erreichen; kaum zwanzig Monate später hatten sie - zu spät - gemerkt, dass sie Opfer eines kolossalen Betrugs geworden waren. Die gescheiterte Aktion jenes Tages war von Carlos Lleras Restrepo, dem Präsidenten des liberalen Parteipräsidiums, persönlich genehmigt worden und durch Vermittlung von Plinio Mendoza Neira zustande gekommen, der noch aus seiner Zeit als Verteidigungsminister der Liberalen ausgezeichnete Verbindungen zu den Streitkräften hatte. Die Aktion wurde von Mendoza koordiniert, von prominenten Parteigenossen im ganzen Land heimlich unterstützt und sollte bei Tagesanbruch mit der Bombardierung des Präsidentenpalastes durch die Luftwaffe starten. Marinebasen in Cartagena und Apiay, die meisten Militärgarnisonen des Landes und gewerkschaftliche Organisationen unterstützten die Aktion und wollten die Macht ergreifen, um eine Zivilregierung der nationalen Versöhnung bilden zu können.
    Erst nach dem Scheitern wurde bekannt, dass zwei Tage vor dem vereinbarten Datum Expräsident Eduarde Santos die Würdenträger der Liberalen und die Anführer des Putsches zu einer letzten Besprechung des Plans in seinem Haus in Bogotá versammelt hatte. Mitten in der Debatte stellte jemand die rituelle Frage:
    »Wird es zu Blutvergießen kommen?«
    Keiner war so naiv oder so zynisch, die Frage zu verneinen. Andere Führer erklärten, alle Maßnahmen seien getroffen worden, damit es nicht dazu käme, man aber kein Zauberrezept habe, Unvorhersehbares zu verhindern. Erschreckt von dem Ausmaß der eigenen Verschwörung erließ der Parteivorstand ohne vorherige Diskussion den Gegenbefehl. Viele der Mitverschwörer, die diesen Befehl nicht rechtzeitig erhielten, wurden beim Putschversuch festgenommen oder getötet. Andere rieten Mendoza, alleine bis zur Machtübernahme weiterzumachen, was er eher aus ethischen denn aus politischen Gründen nicht tat, doch auch er hatte weder die Zeit noch die Mittel, alle in die Aktion Verwickelten zu warnen. Es gelang ihm, in die Botschaft von Venezuela zu flüchten, und er lebte dann vier Jahre im Exil in Caracas, in Sicherheit vor dem Kriegsgericht, das ihn in Abwesenheit zu fünfundzwanzig Jahren Gefängnis wegen Meuterei verurteilte. Zweiundfünfzig Jahre später zittert mir nicht die Hand, wenn ich - ohne seine Autorisation -schreibe, dass Mendoza sich bis an sein Lebensende im Exil Vorwürfe gemacht hat, weil er sich für die trostlose Bilanz der konservativen Macht mitverantwortlich fühlte: mindestens dreihunderttausend Tote.
    Auch für mich war es in gewisser Weise ein entscheidender Moment. Zwei Monate zuvor war ich am Ende des dritten Jurajahrs durchgefallen, und nun beendete ich auch meine Tätigkeit für El Universal, da ich weder im einen noch im anderen eine Zukunft sah. Der Vorwand war, dass ich für meinen gerade erst begonnenen Roman Zeit brauchte, obwohl ich im Grunde meines Herzens wusste, dass das weder stimmte noch gelogen war, weil ich das Projekt plötzlich als rhetorisches Konstrukt sah, das wenig von dem Guten, das ich bei Faulkner gelernt hatte, aber viel von meiner mangelnden Erfahrung offenbarte. Bald lernte ich, dass es wertvoll für die Konzeption und die Ausführung eines Werks ist, wenn man parallele Geschichten zum gerade Geschriebenen erzählt. Damals war das aber nicht der Fall, ich hatte mir vielmehr, da ich nichts vorzeigen konnte, einen gesprochenen Roman ausgedacht, mit dem ich die Zuhörer unterhielt und mich selbst betrog.
    Als mir das bewusst wurde, war ich gezwungen, das Projekt von vorne bis hinten neu zu überdenken, ein Buch, vondem es nie mehr als vierzig unzusammenhängende Seiten gegeben hat und das dennoch in Zeitschriften und Zeitungen erwähnt wurde - auch von mir selbst - und über das sogar einige tief schürfende Vorabkritiken von phantasievollen Lesern veröffentlicht wurden. Im Grunde verdient diese Angewohnheit, über Parallelprojekte zu reden, nicht Tadel, sondern Mitgefühl: Die Angst beim Schreiben kann genauso unerträglich sein wie die vor dem Nichtschreiben. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass es Unglück bringt, wenn man die Geschichte, die man wirklich schreibt, erzählt. Es tröstet mich jedoch, dass die mündlich erzählte Geschichte unter Umständen

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