Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
zusammenzufügen: aus La casa, aus den Schauergeschichten von Faulkners Licht im August, aus dem Regen toter Vögel bei Nathaniel Hawthorne, aus den Kriminalgeschichten, deren Wiederholungen mich langweilten, und aus ein paar blauen Flecken, die mir noch von der Reise mit meiner Mutter nach Aracataca geblieben waren. Ich ließ diese Motive nach ihrem eigenen Gutdünken in meinem kahlen Büro zusammenfließen, in dem nur noch der zerkratzte Schreibtisch und die klapprige Maschine standen, und schrieb alles bis zum endgültigen Titel - Ein Tag nach dem Samstag - in einem Schwung nieder. Das ist eine der wenigen Erzählungen, bei denen mich schon die erste Fassung zufrieden stellte.
    Bei El Nacional machte sich einmal ein fliegender Händler an mich heran und wollte mir eine Armbanduhr verkaufen. Ich hatte noch nie eine besessen, wofür es in jenen Jahren nahe liegende Gründe gab, und die Uhr, die er mir anbot, war teuer und luxuriös. Der Verkäufer gestand mir dann aber, dass er Mitglied der Kommunistischen Partei und darauf abgestellt sei, Uhren zu verkaufen, gleichsam als Köder, um Beitragszahler zu angeln.
    »Das ist so, als ob man die Revolution auf Raten kauft«, sagte er.
    Ich antwortete ihm launig:
    »Der Unterschied ist nur, dass ich die Uhr gleich bekomme, die Revolution aber nicht.«
    Der Händler nahm den schlechten Witz nicht besonders gut auf, und nur um ihm einen Gefallen zu tun, kaufte ich schließlich eine ziemlich billige Uhr über ein Ratensystem, bei dem er selbst monatlich zum Kassieren kam. Es war meine erste Uhr, und sie war so pünktlich und haltbar, dass ich sie noch heute als Reliquie aus jenen Jahren aufbewahre.
    Zu der Zeit kam auch Álvaro Mutis mit der Nachricht zurück, seine Firma habe einen großzügigen Kulturetat bereitgestellt und demnächst werde als literarisches Organ die Zeitschrift Lámpara erscheinen. Er lud mich zur Mitarbeit ein, und ich schlug ihm spontan ein Projekt vor: Die Legende von La Sierpe. Sollte ich eines Tages darüber schreiben, so hatte ich mir gedacht, durfte das nicht von einer rhetorischen Warte aus geschehen, ich musste die Legende vielmehr aus dem kollektiven Bewusstsein herausschälen und zeigen, was sie war: eine historische und geografische Tatsache. Das hieß: endlich eine große Reportage.
    »Machen Sie, was auch immer Ihnen einfällt«, sagte Mutis zu mir. »Aber machen Sie es, denn vom Ton und der Atmosphäre her ist es genau das, was wir für die Zeitschrift suchen.«
    Ich versprach, die Reportage in zwei Wochen zu schreiben. Bevor Mutis zum Flughafen fuhr, telefonierte er mit seinem Büro in Bogotá und forderte einen Vorschuss an. Der Scheck, der eine Woche später mit der Post kam, verschlug mir den Atem. Erst recht, als ich ihn einlösen wollte und der Kassierer der Bank sich über meinen Aufzug beunruhigt zeigte. Man ließ mich in ein Chefbüro kommen, wo mich ein überhöflicher Geschäftsführer fragte, wo ich arbeitete. Ich antwortete wie gewohnt, dass ich für El Heraldo schriebe, obwohl das schon nicht mehr stimmte. Nichts weiter. Der Geschäftsführer untersuchte den Scheck auf seinem Schreibtisch, betrachtete ihn mit so etwas wie professionellem Argwohn und entschied am Ende:
    »Das Dokument ist völlig in Ordnung.«
    Am selben Nachmittag, ich hatte eben begonnen La Sierpe zu schreiben, wurde mir ein Anruf von der Bank gemeldet. Ich dachte schon, der Scheck sei aus irgendeinem der in Kolumbien möglichen Gründe nicht vertrauenswürdig. Nur mit Mühe schluckte ich den Kloß hinunter, der mir im Hals steckte, als der Bankbeamte sich in der gezierten Sprechweise des Hochlands dafür entschuldigte, nicht gleich gemerkt zu haben, dass der Bettler, der den Scheck einlösen wollte, der Autor von »La Jirafa« war.
    Mutis kam gegen Ende des Jahres noch einmal. Er konnte kaum das Mittagessen genießen, weil er sich mit mir gemeinsam Gedanken darüber machte, wie ich dauerhaft und endgültig mehr Geld verdienen könne. Beim Nachtisch schien ihm dann das Beste, die Canos wissen zu lassen, dass ich für El Espectador zur Verfügung stünde, obwohl mich schon allein der Gedanke, nach Bogotá zurückzukehren, nach wie vor nervös machte. Álvaro ließ jedoch nicht locker, wenn es darum ging, einem Freund zu helfen.
    »Machen wir es doch so«, sagte er, »ich schicke Ihnen das Flugticket, und Sie kommen, wann und wie Sie wollen, und dann sehen wir, was uns einfällt.«
    Das war zu viel, um Nein zu sagen, doch ich war sicher, dass das Flugzeug, das

Weitere Kostenlose Bücher