Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
wie auch mir - wohl etwas merkwürdig erscheint, dass wir uns kennen lernen wollten, würde ich es dennoch sehr gern probieren.
Du sagtest, dass du Philosophie studieren würdest. Genau das ist der Grund, warum ich dich aufgrund deiner letzten Mail nicht für verrückt halte. Du scheinst trotzdem eine Menge über alles nachzudenken. Vielleicht sind wir uns darin sogar etwas ähnlich, nur dass ich das Denken in einer anderen Art und Weise vollziehe.
Ich denke, du weißt, dass es heutzutage nicht mehr allzu ungewöhnlich ist, sich nach einem kurzen Chatgespräch und zwei kleinen E-Mails an einem öffentlichen Ort zu treffen.
Wir haben noch nicht viel ausgetauscht oder telefoniert, aber ich finde dich wirklich interessant und biete dir daher an, heute Abend in das Café „Exlex“ in der Nähe der Einkaufspassage zu kommen. Ich werde ab neunzehn Uhr dort sein. Solltest du kein Treffen wollen und aus eben diesem Grund nicht erscheinen, werde ich mir einen Kaffee bestellen und eine triste Zeitung lesen. Es liegt also an dir, ob ich mich langweilen oder in ein eventuell intellektuelles Gespräch mit dir verwickelt sein werde. Ich hoffe, dass wir uns sehen werden.“
Ich überflog die Zeilen ein weiteres Mal. Ich fand weder eine Begrüßung noch eine richtige Verabschiedung vor und begriff erst nach einigen Minuten, dass ich tatsächlich zu einem Treffen eingeladen worden war. Im selben Moment jedoch war mir ebenso bewusst, dass ich niemals in diesem Café auftauchen würde. Ich sah grässlich aus und hatte keine Erfahrung mehr darin, wie ich mich gegenüber jemand Fremden verhalten sollte. Abgesehen davon traute ich mich nicht unter Menschen - noch nicht.
Meine Familie hätte wohl niemals gewollt, dass ich mich so zurückziehe. Ich betrachtete ein Foto, das neben meinem Laptop mit etlichen Klebestreifen auf der Tischplatte fixiert war.
Es könnte auch ein Zeichen sein. Dass ich mich noch nicht unter Menschen traute, war vielleicht etwas übertrieben. Es war genug Zeit vergangen. Ich betrachtete die vielen Bleistiftstriche an meiner weißen, sonst kahlen Wand.
Mein Magen begann erneut zu knurren und somit beschloss ich, mir zunächst ein weiteres Brot zu belegen. Ich tapste in die Küche, griff nach einer Toastscheibe und belegte mir diese üppig mit Käse und Schinken und lehnte mich dabei gegen den weißen Kühlschrank. Der Geruch von fauligem Obst stieg mir in die Nase und einige Obstfliegen umrundeten in einem regelmäßigen Takt meinen Kopf. Ich scheuchte diese beiseite und griff nach den überbraunen Bananen, um diese in den Müll zu werfen. Als ich mich zurück gegen den Schrank lehnte, betrachtete ich den Toast in meiner Hand. Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie armselig ich lebte und wie sehr ich mein vielleicht bereits kaputtes Leben noch weiter zerstört hatte. Ich ernährte mich schlecht, bewegte mich kaum, lebte zurückgezogen, ließ meinen Körper verwahrlosen und war einsam. Ja, ich war einsam. Mit einem Mal war mir der Appetit vergangen und ich warf das frische Brot zu den schlechten Bananen in den Müll.
Wenn ich noch etwas aus meinem Leben machen wollte, war an diesem Tag der richtige Zeitpunkt dafür gekommen. Ich musste mich ändern und alles wieder in den Griff bekommen, um dem eigen inszenierten Sumpf voller Selbstmitleid zu entkommen.
Hastig warf ich einen Blick auf das Radio in der Küche und fand heraus, dass ich noch drei Stunden Zeit bis zu dem besagten Treffen hatte. Das Gute an allem war, dass ich wusste, wo sich das „Exlex“ befand und ich nicht sehr weit davon entfernt wohnte. Das Schlechte an allem war allerdings - abgesehen davon, dass das Schlechte mit Abstand überwog -, dass ich erbärmlich aussah, mich dafür schämte und nicht glaubte, dass ich mit meinem Erscheinen seriös, freundlich und vertrauenswürdig bei einem wahrscheinlich hübschen Mädchen wirken würde. Nun hatte ich mich für diesen neuen Start in meinem Leben entschieden und wollte nicht wieder mehr Schritte zurückgehen, als ich an diesem Tag nach vorne getreten war. Es half nichts. Ich musste versuchen, das Beste aus der ganzen Situation zu machen. Immer wieder stellte ich mir meine kurz angebundene Chatpartnerin vor und hoffte nur zu sehr, dass sie Verständnis für mich haben würde. Woran ich mich erinnerte, war eigentlich, dass Frauen meist verständnisvoller und liebevoller mit problembehafteten Menschen umgingen. Dies war nun meine einzige Hoffnung. Ich musste schmunzeln, als mir ein weiteres Mal
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