Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
machte, – ging dahin, meinen Onkel Toby in den Stand zu setzen, nicht daß er mitstreite – sondern nur daß er verstehe; – daß er die Grane und Scrupel der Gelehrsamkeit in sich aufnehme, – nicht daß er sie wäge. – Mein Onkel Toby that freilich, wie der geneigte Leser aus dem nächsten Kapitel ersehen wird, weder das Eine noch das Andere.
85. Kapitel.
Es ist Schade, sagte mein Vater an einem Winterabend, nachdem er drei Stunden lang mühsam aus Slawkenbergius übersetzt hatte, – es ist Schade, sagte mein Vater, und legte dabei meiner Mutter Garnwickel als Zeichen in das Buch, – daß die Wahrheit, Bruder Toby, sich in solche uneinnehmbare Festungen einschließt und so hartnäckig ist, daß sie sich oft auch bei der engsten Belagerung nicht ergibt –
Nun geschah es, wie allerdings schon oft vorher geschehen war, daß die Phantasie meines Onkels Toby während mein Vater ihm den Prignitz auslegte, – da sie hier keinen Haltpunkt fand, – einen kleinen Ausflug nach dem Rasen gemacht hatte: – sein Körper wäre recht gern auch dahin gegangen; – so daß mein Onkel Toby, so sehr er ein Gesicht machte, als ob er tief mit dem
medius terminus
beschäftigt sei – in Wahrheit ebenso wenig von der ganzen Vorlesung und all ihren Für und Wider gehört hatte, als ob mein Vater den Hafen Slawkenbergius vom Lateinischen in das Cherokesische übersetzt hätte. Aber das von meinem Vater als Gleichniß benützte Wort »Belagerung« wehte mit der Kraft eines Talismans die Phantasie meines Onkels Toby so schnell wieder zurück, wie ein Ton der Berührung einer Saite folgt, – er spitzte die Ohren; – und als mein Vater bemerkte, daß er die Pfeife aus dem Munde nahm, und den Stuhl näher an den Tisch rückte, als wollte er von der Rede profitiren, – begann dieser mit großem Vergnügen seinen Satz von Neuem, – wobei er nur den Plan änderte und das Gleichniß mit der Belagerung fallen ließ, um etwaigen Gefahren, welche mein Vater von daher witterte, auszuweichen.
Es ist Schade, sagte mein Vater, daß sich die Wahrheit nur auf einer Seite befinden kann, Bruder Toby – wenn man in Betracht zieht, wie geistreich sich diese gelehrten Männer bei ihrer Lösung der Nasenfrage gezeigt haben. – Lassen sich denn Nasen auflösen? erwiderte mein Onkel Toby.
Mein Vater stieß seinen Stuhl zurück, – sprang auf, – setzte seinen Hut auf, – that vier große Schritte nach der Thüre, – riß sie auf, – streckte den Kopf halbwegs hinaus, – schloß sie wieder, – kehrte sich nichts an ihr Krächzen, – trat wieder an den Tisch, – zog meiner Mutter Garnwickel aus dem Slawkenbergius, – ging rasch nach seinem Schreibtisch, – kehrte langsam wieder zurück, – wickelte meiner Mutter Wickelpapier um seinen Daumen – knöpfte die Weste auf, schleuderte meiner Mutter Wickel ins Feuer, – biß ihr seidenes Nadelkissen auf, wobei er den Mund voll Kleie bekam, – fluchte darüber: – aber wohlgemerkt! – der Fluch galt eigentlich dem Kopf meines Onkels Toby – der eigentlich schon wirr genug war; – die Kleie war nur die Ladung für den Fluch – wie es das Pulver für die Kugel ist.
Es war nur gut, daß die Leidenschaften meines Vaters nicht lange dauerten; denn so lange sie dauerten, machten sie ihm viel zu schaffen; und es ist eines der unauflöslichsten Probleme, dem ich bei meinen Beobachtungen der menschlichen Natur begegnete, daß nichts meinen Vater so sehr in Hitze brachte, oder seine Leidenschaft wie Pulver aufflammen ließ, als wenn seine Wissenschaft von der eigenthümlichen Einfalt in den Fragen meines Onkels Toby einen Schlag ins Gesicht bekam. – Hätten ihn zehn Dutzend Hornisse alle zu gleicher Zeit an ebensoviel verschiedenen Stellen hinten gestochen, – er hätte nicht mehr mechanische Functionen in weniger Secunden ausführen, – oder auch nur halb so auffahren können, als er es bei dem einzigen
Quaere
dreier Worte that, die so unzeitig in seine steckenpferdlichen Sprünge hineinfuhren.
Mein Onkel Toby dachte dabei nichts Böses – er rauchte seine Pfeife in ungetrübter Ruhe weiter; – sein Herz dachte nicht daran seinen Bruder zu verletzen; – und da sein Kopf selten herausfand, wo denn eigentlich der Stachel lag, der jenen aufgebracht hatte, – so ließ er meinem Vater immer Zeit sich abzukühlen. – Dies Mal brauchte er fünf Minuten und fünf und dreißig Sekunden dazu.
Bei Allem was gut ist! sagte mein Vater, der sobald er zu sich kam zu schwören anfing und seine
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