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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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in vielen Fabriken zeigen die Unauslöschlichkeit des dem Menschen wesenseigenen Freiheitsbestrebens. Es war unterdrückt, doch es existierte. Der in Versklavung gefallene Mensch wurde aufgrund seines Schicksals zum Sklaven, nicht aber aufgrund seiner Natur.
    Der natürliche Freiheitsdrang des Menschen ist unauslöschlich; man kann ihn unterdrücken, doch ausmerzen kann man ihn nicht. Der Totalitarismus kann nicht auf Gewalt verzichten. Verzichtet er auf Gewalt, so bedeutet das seinen Untergang. Immerwährender, nie endender, offener oder getarnter Terror ist die Basis des Totalitarismus. Freiwillig verzichtet der Mensch nicht auf Freiheit. In dieser Erkenntnis leuchtet ein Licht für unsere Zeit, ein Licht für die Zukunft.
    51
    Eine Rechenmaschine führt mathematische Berechnungen durch, erinnert an historische Ereignisse, spielt Schach, übersetzt Bücher aus einer Sprache in die andere. Sie übertrifft den Menschen in seiner Fähigkeit, mathematische Aufgaben schnell zu lösen; ihr Gedächtnis ist untadelig.
    Gibt es eine Grenze für den Fortschritt, der die Maschine nach dem Bild und Ebenbild des Menschen erschafft? Offenbar gibt es diese Grenze nicht.
    Man kann sich die Maschine der zukünftigen Jahrhunderte und Jahrtausende vorstellen. Sie wird Musik hören, Malerei beurteilen, selbst Bilder malen, Melodien erschaffen, Verse schreiben.
    Gibt es eine Grenze für ihre Vollkommenheit? Wird sie dem Menschen gleich werden, ihn übertreffen?
    Die Nachbildung des Menschen durch die Maschine wird immer neue Zuwächse an Elektronik, Gewicht und Fläche erfordern.
    Kindheitserinnerungen … Glückstränen … Trennungsschmerz … Freiheitsliebe … Mitleid mit einem kranken jungen Hund … Ängstlichkeit … mütterliche Zärtlichkeit … Todesgedanken … Trauer … Freundschaft … Liebe zu den Schwachen … unvermutete Hoffnung … eine glückliche Lösung … Schwermut … grundlose Fröhlichkeit … plötzliche Bestürzung …
    Alles, alles wird die Maschine reproduzieren! Doch die Fläche der ganzen Erde wird nicht ausreichen, um diese Maschine aufzustellen, die sich in Umfang und Gewicht in dem Maße bis ins Unendliche vergrößert, wie sie die Besonderheiten des Verstandes und der Seele des durchschnittlichen, unauffälligen Menschen nacherschafft.
    Der Faschismus hat zig Millionen Menschen vernichtet.
    52
    In einem geräumigen, hellen und sauberen Haus in einem Walddorf im Ural hatten der Kommandeur des Panzerkorps Nowikow und der Kommissar Getmanow die Meldungen der Brigadechefs überprüft, die den Befehl erhalten hatten, sich zum Abmarsch an die Front fertig zu machen.
    Nach der Arbeit der letzten Tage, die keine Zeit für Schlaf gelassen hatte, konnten sie sich nun eine stille Stunde gönnen. Nowikow und seinen Untergebenen kam es, wie immer in ähnlichen Fällen, so vor, als hätten sie nicht genügend Zeit gehabt, um die Unterrichtsprogramme voll und ganz durchzuführen. Aber die Phase des Unterrichts über Motor und Fahrwerk, artilleristische Technik, Optik, Funkgerät war abgeschlossen; beendet waren die Übungen zur Lenkung des Feuers, zur Beurteilung, Auswahl und Verteilung der Ziele, zur Entscheidung über die Schussart, die Belehrungen darüber, wann das Feuer zu eröffnen sei, über die Beobachtung der Einschläge, die Korrektur und Änderung der Ziele.
    Bald wird ein neuer Lehrer – der Krieg – die zurückgebliebenen Schüler unterrichten und ihre Wissenslücken schließen.
    Getmanow beugte sich zu dem Schrank vor, der zwischen den Fenstern stand, klopfte mit dem Finger darauf und sagte: »He, Freund, geh in die vorderste Linie.«
    Nowikow öffnete die Schranktür, nahm eine Flasche Cognac heraus und goss zwei bläuliche Gläser voll.
    Der Korpskommissar sagte nachdenklich: »Auf wen wollen wir trinken?«
    Nowikow wusste, auf wen man trinken musste, deshalb hatte Getmanow ja auch gefragt.
    Nach einem sekundenlangen Zögern sagte Nowikow: »Also, Genosse Korpskommissar, trinken wir auf die, die wir beide in den Kampf führen. Mögen sie im Kampf nicht viel Blut lassen.«
    »Richtig, zuallererst die Sorge für die anvertrauten Kader«, sagte Getmanow, »trinken wir auf unsere Jungs!«
    Sie stießen an, tranken aus.
    Nowikow konnte seine Eile nicht verbergen; er goss sofort wieder nach und sagte: »Auf den Genossen Stalin! Darauf, dass wir sein Vertrauen rechtfertigen!«
    Er las in Getmanows freundlichen, aufmerksamen Augen leisen Spott und dachte über sich selbst verärgert: »Ach, ich bin mal

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