Leben und Schicksal
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»Vielleicht ernennen wir vorläufig Major Bassangow«, sagte Nowikow, »er ist ein gescheiter Kommandeur, hat an den Panzerschlachten bei Nowograd-Wolynsk teilgenommen. Hat der Brigadekommissar Einwände?«
»Natürlich habe ich keine Einwände«, sagte Getmanow, »was für Einwände sollte ich denn haben? … Aber ich sehe da etwas – der Stellvertretende Kommandeur der zweiten Brigade, der Oberstleutnant, ist Armenier, Stabschef bei ihm soll ein Kalmücke werden, und nehmen Sie noch in der dritten Brigade den Stabschef dazu, Oberstleutnant Lifschiz. Vielleicht geht es ohne den Kalmücken?«
Er schaute auf Nowikow, dann auf Neudobnow.
»Gemessen am gesunden Menschenverstand, stimmt das alles, das sage ich ehrlich, aber der Marxismus hat uns eine andere Methode gezeigt, die betreffende Frage anzugehen.«
»Wichtig ist, wie der betreffende Genosse gegen den Deutschen kämpft, das ist mein Marxismus«, sagte Nowikow, »aber wo sein Großvater zu Gott gebetet hat, ob in der Kirche oder in der Moschee –«, er dachte kurz nach und setzte hinzu, »… oder in der Synagoge, das ist mir gleich … Ich meine: Das Schießen Ist das Wichtigste im Krieg.«
»Richtig, genau so ist es«, sagte Getmanow fröhlich. »Warum sollen wir in einem Panzerkorps eine Synagoge oder sonst noch einen Tempel bauen? Schließlich verteidigen wir alle Russland.« Sein Gesicht verfinsterte sich plötzlich, und er sagte böse: »Ich sage Ihnen die Wahrheit, es langt! Es wird einem förmlich schlecht! Im Namen der Völkerfreundschaft opfern wir immer die russischen Menschen. So einer von den nationalen Minderheiten kann kaum das Abc, und wir befördern ihn zum Volkskommissar. Unser Iwan aber, auch wenn er noch so gescheit ist, kriegt gleich eins auf den Deckel – mach Platz für den Mitbürger! Das große russische Volk haben sie in eine nationale Minderheit verwandelt. Ich bin für die Völkerfreundschaft, aber nicht für so eine! Es reicht!«
Nowikow dachte nach, sichtete die Papiere auf dem Tisch, klopfte mit dem Fingernagel gegen das Glas und sagte: »Benachteilige ich etwa die Russen wegen besonderer Sympathien für die kalmückische Nation?«, und zu Neudobnow gewandt: »Also, geben Sie den Befehl – Major Sasonow wird vorläufiger Stabschef der zweiten Brigade.«
Getmanow sagte leise: »Sasonow ist ein ausgezeichneter Offizier.«
Und wieder spürte Nowikow, der gelernt hatte, grob, herrisch und hart zu sein, seine Unsicherheit gegenüber dem Kommissar … »Schon gut, schon gut«, tröstete er sich, »von Politik verstehe ich nichts. Ich bin ein proletarischer Militärspezialist. Unsereins hat bloß eine Aufgabe: die Deutschen in Stücke hauen.«
Und obwohl er sich innerlich über den in militärischen Dingen ungebildeten Getmanow lustig machte, war es unangenehm, sich die eigene Befangenheit ihm gegenüber einzugestehen.
Dieser Mann mit dem großen Kopf, dem wirren Haar, dem dicken Bauch, klein, aber breitschultrig und sehr behände, laut und spaßhaft, dieser Mann war unermüdlich aktiv.
Obwohl er nie an der Front gewesen war, hieß es über ihn bei den Brigaden: »Ach, was haben wir für einen schneidigen Kommissar!«
Er liebte es, Versammlungen der Rotarmisten zu veranstalten: Seine Reden kamen an, er sprach einfach, scherzte viel und benutzte mitunter ziemlich derbe Kraftausdrücke.
Er ging ein wenig schaukelnd, stützte sich meistens auf einen Stock, und wenn ihn ein Panzerfahrer, der eingenickt war, nicht grüßte, blieb Getmanow vor ihm stehen, stützte sich auf seinen berühmten Stock, nahm die Mütze ab und verbeugte sich tief wie ein alter Mann auf dem Dorf.
Er war aufbrausend und liebte keine Einwände; wenn man mit ihm stritt, schnaufte er und wurde finster; einmal war er in Wut geraten, hatte ausgeholt und den Stabschef des schweren Regiments, Hauptmann Gubenkow, einen störrischen und, wie seine Kameraden ihn beschrieben, »furchtbar prinzipientreuen« Mann, mit der Faust geschlagen.
Über den störrischen Hauptmann sagte Getmanows Stellvertreter missbilligend: »Der hat unseren Kommissar gereizt, der Teufel.«
Getmanow brachte denen, die die schweren ersten Tage des Krieges miterlebt hatten, keinen besonderen Respekt entgegen. Einmal sagte er über den Liebling Nowikows, Makarow, den Chef der ersten Brigade: »Dem treibe ich schon noch die Philosophie von 1941 aus!«
Nowikow hatte geschwiegen, obwohl er gern mit Makarow über die schrecklichen, irgendwie erregenden ersten Tage des Krieges
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