Leben und Schicksal
wieder zu schnell gewesen.«
Getmanow sagte gutmütig: »Was denn, na gut, auf den Alten, auf unser Väterchen. Wir sind ja unter seiner Führung bis zur Wolga gekommen.«
Nowikow sah den Kommissar an, aber was kann man schon lesen auf dem dicken, breitwangigen, lächelnden Gesicht eines klugen vierzigjährigen Mannes mit zusammengekniffenen, fröhlichen und bösen Augen.
Unerwartet kam Getmanow auf den Stabschef des Korps, General Neudobnow, zu sprechen.
»Ein großartiger, guter Mann. Bolschewik. Ein echter Stalinist. Theoretisch beschlagen. Große Erfahrung in der Führungsarbeit. Große Ausdauer. Ich kenne ihn von 1937 her. Jeschow ließ ihn einen Militärbezirk säubern, und ich selber habe damals, wissen Sie, auch keinen Kinderhort geleitet. Der hat vielleicht losgelegt, hat sie der Liste nach ins Jenseits befördert, nicht schlechter als Ulrich, Wassili Wassiljewitsch, er hat das Vertrauen von Nikolai Iwanowitsch gerechtfertigt. Wir müssen ihn unbedingt gleich einladen, sonst nimmt er es noch übel.«
In seinem Ton schien Kritik an dem Kampf gegen die Volksfeinde mitzuklingen, dem Kampf, an dem Getmanow teilgenommen hatte, wie Nowikow wusste. Und wieder sah Nowikow Getmanow an und konnte ihn nicht verstehen.
»Ja«, sagte Nowikow langsam und unwillig, »damals hat so mancher gehobelt.«
Getmanow winkte ab.
»Heute ist ein schlimmer Bericht aus dem Generalstab gekommen: Die Deutschen nähern sich dem Elbrus, in Stalingrad stoßen sie die Unsrigen ins Wasser. Ich sage es offen, an diesen Dingen sind auch wir schuld – wir haben auf die eigenen Leute geschossen, haben die Kader zerhauen.«
Nowikow empfand plötzlich eine Anwandlung von Vertrauen zu Getmanow, er sagte: »Ja, diese Jungs haben sehr gute Leute umgebracht, Genosse Kommissar, sie haben in der Armee viel Unglück angerichtet. Dem Korpschef Kriworutschko haben sie beim Verhör ein Auge ausgeschlagen, und er hat dem Untersuchungsrichter mit dem Tintenfass den Schädel eingehauen.«
Getmanow nickte mitfühlend und sagte: »Unseren Neudobnow liebt Lawrenti Pawlowitsch sehr. Und Lawrenti Pawlowitsch irrt sich nicht in den Leuten, ein kluger Kopf, wirklich ein kluger Kopf.«
»Ja, ja«, dachte Nowikow gedehnt, sagte es nicht.
Sie schwiegen, hörten den leise zischelnden Stimmen aus dem Nachbarzimmer zu.
»Du lügst, das sind unsere Socken.«
»Wieso Ihre, Genosse Leutnant, wie denn, sind Sie denn ganz verrückt geworden«, und dieselbe Stimme setzte, nunmehr zum »du« übergehend, hinzu: »Lass das, fass das nicht an, das sind unsere Kragenbinden.«
»Also wie denn, Genosse Unterpolitruk, wieso sind das denn Ihre, guck doch her.« Es waren der Adjutant Nowikows und Getmanows Ordonnanzoffizier, die die Leibwäsche ihrer Vorgesetzten nach dem Waschen auseinandersortierten.
Getmanow sagte: »Ich beobachte sie die ganze Zeit, diese Satansbraten. Wir beide sind einmal zum Schießen zum Fatow’schen Bataillon gegangen, und die beiden waren hinter uns. Ich gehe auf den Steinen durch den Bach, und Sie springen rüber und schütteln den Fuß, damit der Dreck wieder abgeht. Da sehe ich: Mein Ordonnanzoffizier geht auf den Steinen durch den Bach, und Ihr Leutnant springt rüber und schüttelt den Fuß.«
»He, ihr Krieger, zankt euch leiser«, sagte Nowikow, und sofort erstarben die Stimmen nebenan.
Ins Zimmer trat General Neudobnow, ein bleicher Mann mit einer großen Stirn und dichtem, stark ergrautem Haar. Er sah auf das Glas, die Flasche, legte einen Stapel Papiere auf den Tisch und fragte Nowikow: »Was sollen wir mit dem Stabschef in der zweiten Brigade machen, Genosse Oberst? Michalew kommt in anderthalb Monaten zurück, ich habe den schriftlichen Befund aus dem Kreiskrankenhaus bekommen.«
»Was ist der denn für ein Stabschef, ohne Darm und nur mit einem Stück Magen?«, sagte Getmanow, goss ein Glas Cognac ein und bot es Neudobnow an. »Trinken Sie, Genosse General, solange der Darm noch da ist.«
Neudobnow zog die Brauen hoch, sah fragend mit hellgrauen Augen auf Nowikow.
»Aber bitte, Genosse General, bitte!«, sagte Nowikow.
Ihn reizte Getmanows Art, sich immer als Hausherr zu fühlen; er konnte sich, überzeugt von seinem Recht, auf Versammlungen wortreich über technische Fragen auslassen, von denen er gar nichts verstand. Und ebenso selbstverständlich und von seinem Recht überzeugt konnte Getmanow mit fremdem Cognac bewirten, einen Gast auf einer fremden Pritsche ruhen lassen, auf dem Tisch liegende fremde Papiere
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