Leben und Schicksal
darum, derlei Gespräche zu unterlassen!«
Marja Iwanowna sah mit halb offenem Mund auf ihren Gatten. Das Geschirr in ihren Händen begann zu klirren, sie zitterte.
Strum brach in schallendes Gelächter aus:
»Seht, unser Pjotr Lawrentjewitsch hat die Pressefreiheit aufgehoben! Von langer Dauer war sie nicht. Gut, dass Marja Iwanowna diese aufrührerische Hetze nicht mit angehört hat.«
»Unser System«, verkündete Sokolow gereizt, »hat seine Kraft bewiesen. Die bürgerlichen Demokratien haben ein Fiasko erlitten.«
»Na ja, das hat es«, sagte Strum. »Die überlebte bürgerliche Demokratie prallte 1940 in Finnland auf unseren Zentralismus, und wir gerieten in arge Bedrängnis. Ich bin kein Anhänger der bürgerlichen Demokratie, aber Tatsachen bleiben Tatsachen. Und was hat das eigentlich mit dem alten Chemiker zu tun?«
Strum sah sich um und fing den aufmerksamen Blick Marja Iwanownas auf, die ihm zugehört hatte.
»Es lag nicht an Finnland, sondern am finnischen Winter«, berichtigte Sokolow.
»Ach, lass das, Pjotr«, sagte Madjarow.
»Sagen wir’s so«, meinte Strum, »während des Krieges offenbarte der sowjetische Staat sowohl seine Vorzüge als auch seine Schwächen.«
»Was für Schwächen denn?«, wollte Sokolow wissen.
»Na, beispielsweise die, dass viele, die heute kämpfen könnten, eingelocht wurden«, sagte Madjarow. »Schaut euch doch um, wir stehen an der Wolga.«
»Was aber hat das mit dem System zu tun?«, fragte Sokolow.
»Was heißt da, was?«, sagte Strum. »Hat sich Ihrer Meinung nach die Unteroffizierswitwe im Jahre 1937 selbst erschossen?«
Wieder sah er die aufmerksamen Augen von Marja Iwanowna. Er wusste, dass er sich in diesem Gespräch recht seltsam aufführte: Kaum setzte Madjarow mit seiner Kritik ein, verteidigte er schon den Staat; sobald aber Sokolow über Madjarow herfiel, gab er Sokolow Kontra.
Sokolow machte sich gerne ab und zu über einen dummen Artikel oder eine ignorante Rede lustig, doch sobald man auf die Parteilinie zu sprechen kam, wurde er hart wie Beton. Madjarow hingegen machte aus seinen Ansichten kein Geheimnis.
»Sie suchen die Ursachen für unser militärisches Zurückweichen in Mängeln des sowjetischen Systems«, sagte Sokolow, »doch der Schlag, zu dem die Deutschen gegen unser Land ausgeholt haben, war so gewaltig, dass der Staat, der diesem Schlag standhielt, ebendadurch mit ausreichender Anschaulichkeit seine Stärke bewiesen hat – nicht seine Schwäche. Sie sehen den Schatten, den ein Gigant wirft, und sagen uns: Seht her, was für ein Schatten. Aber Sie vergessen den Giganten. Unser Zentralismus ist doch der soziale Motor einer gigantischen Macht, durchaus imstande, Wunder zu vollbringen. Und er hat sie bereits vollbracht. Und wird sie in Zukunft vollbringen.«
»Wenn der Staat Sie nicht braucht, macht er Sie mitsamt all Ihren Ideen, Plänen und Aufsätzen kaputt«, bemerkte Karimow, »wenn aber Ihre Idee mit jener des Staates konform geht, legt Ihnen der Staat einen fliegenden Teppich unter die Füße.«
»Genau das ist es«, sagte Artelew. »Ich hatte einen Monat dienstlich in einem besonders wichtigen Rüstungsbetrieb zu tun. Stalin selbst hat den Fortgang der Montagearbeiten verfolgt und mit dem Direktor telefoniert. Diese Maschinen! Rohstoffe, Ersatzteile – alles war da, wie von Zauberhand. Und die Bedingungen! Ein Badezimmer … Sahne zum Frühstück, ins Haus geliefert. Nie im Leben ist es mir so gut gegangen. Die Versorgung klappte wie am Schnürchen! Und vor allem: von Bürokratie keine Spur. Es ging alles ohne Papierkram.«
»Wenn in staatswichtigen Rüstungsbetrieben eine derartige Vollkommenheit erreicht wurde, dann steht doch grundsätzlich fest, dass es möglich ist, dasselbe System in der ganzen Industrie einzuführen«, sagte Sokolow.
»Settlement!«, sagte Madjarow. »Es handelt sich um zwei grundverschiedene Prinzipien, nicht um ein und dasselbe. Stalin baut, was der Staat, nicht was der Mensch braucht. Die Schwerindustrie nützt dem Staat und nicht dem Volk. Der Weißmeer-Ostsee-Kanal ist für die Menschen nutzlos. Auf der einen Seite liegen die Bedürfnisse des Staates, auf der anderen jene der Menschen. Das lässt sich nicht unter einen Hut bringen.«
»So ist es, aber einen Schritt von diesem ›settlement‹ weg blüht der reine Unsinn«, sagte Artelew. »Auf unsere Produktion warten die Kasaner von nebenan, ich aber muss sie nach Tschita in Sibirien liefern, woraufhin man sie aus Tschita wieder zurück
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