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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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und dann die widrige Angelegenheit bereinigen.
    Der Melder aus der Politabteilung der Armee führte ihn zu der steinernen Öffnung des breiten Stollens, der Rodimzews Stab beherbergte. Der Posten meldete den Bataillonskommissar aus dem Frontstab, und jemand sagte mit volltönender Stimme:
    »Ruf ihn herein! Der macht sich sonst sicher in die Hose, weil er’s nicht gewöhnt ist.«
    Krymow trat gebückt durch den niedrigen Bogen ein und stellte sich, während er die Blicke der Stabsoffiziere auf sich gerichtet fühlte, dem beleibten Regimentskommissar in der wattierten Soldatenjacke vor, der auf einer Konservenkiste saß.
    »Aha, sehr angenehm. Einen Vortrag zu hören ist immer eine gute Sache«, sagte der Regimentskommissar. »Wir haben schon gehört, dass Manuilski und noch jemand ans linke Ufer gekommen sind, zu uns nach Stalingrad aber nicht kommen wollen.«
    »Ich habe zudem vom Leiter der Politabteilung noch den Auftrag«, sagte Krymow, »einen Streitfall zwischen dem Kommandeur des Schützenregiments und dem Kommissar zu schlichten.«
    »Ja, so einen Fall hatten wir«, antwortete der Kommissar, »gestern haben wir ihn geregelt: Auf den Gefechtsstand des Regiments fiel eine Bombe von einer Tonne Sprengkraft. Achtzehn Mann sind umgekommen, darunter der Regimentskommandeur und der Kommissar.«
    Mit unerwarteter Offenheit fügte er hinzu:
    »Jeder der beiden war irgendwie gerade das Gegenteil vom anderen, sogar im Äußeren: Der Kommandeur war ein einfacher Mann, Sohn eines Bauern, der Kommissar aber trug Handschuhe und einen Ring am Finger. Jetzt liegen sie beide nebeneinander.«
    Doch da er ein Mensch war, der sich und andere stets in der Gewalt hat und sich nicht von einer Stimmung überwältigen lässt, fuhr er, jäh den Tonfall ändernd, mit heiterer Stimme fort:
    »Als unsere Division vor Kotluban stand, musste ich einmal den Moskauer Berichterstatter, Pawel Fjodorowitsch Judin, im Auto an die Front fahren. Ein Mitglied des Kriegsrats hatte zu mir gesagt: ›Wenn er auch nur ein Haar verliert, reiß ich dir den Kopf ab.‹ Abgerackert hab ich mich mit ihm. Kaum tauchte ein Flugzeug auf, gingen wir sofort im Sturzflug in den Straßengraben. Ich passte auf, hatte keine Lust, den Kopf zu verlieren. Doch auch Genosse Judin nahm sich in Acht, legte Initiative an den lag.«
    Die Leute, die ihrem Gespräch zuhörten, lachten, und Krymow spürte wieder Gereiztheit über diesen herablassenden, geringschätzigen Ton in sich aufsteigen.
    Gewöhnlich entwickelte Krymow guten Kontakt zu den Frontkommandeuren, und seine Beziehungen zu den Stabsoffizieren und sogar zu den leicht reizbaren und es nicht immer aufrichtig mit ihren Mitmenschen meinenden Politkommissaren gestalteten sich durchaus erträglich. Aber dieser Divisionskommissar hier irritierte ihn: Kaum ein Jahr an der Front, hielt er sich schon für einen Veteranen. Bestimmt war der gerade erst vor dem Krieg in die Partei eingetreten und hatte schon etwas gegen Engels.
    Doch auch den Divisionskommissar reizte offenbar etwas an Krymow.
    Selbst als der Adjutant ihm das Nachtlager richtete und ihn mit Tee bewirtete, wurde Krymow dieses Gefühl nicht los.
    Fast jeder Truppenteil hatte seinen eigenen Kommunikationsstil, der ihn von anderen unterschied. Im Stab der Rodimzew-Division brüstete man sich ständig mit dem jungen General.
    Nachdem Krymow das Gespräch beendet hatte, begann man ihn auszufragen.
    Der Stabsführer Welski, der neben Rodimzew saß, fragte: »Wann, Genosse Berichterstatter, eröffnen denn die Alliierten eine zweite Front?«
    Der Divisionskommissar, der halb auf der schmalen, an die Steinwand des Stollens montierten Pritsche gelegen hatte, setzte sich auf, spielte mit den Händen im Heu und meinte:
    »Warum so eilig. Mich interessiert mehr, wie unser Kommando vorzugehen gedenkt.«
    Krymow warf dem Kommissar missmutig einen schrägen Blick zu und sagte: »Da Ihr Kommissar die Frage so stellt, ist es nicht an mir, zu antworten, sondern am General.«
    Alle blickten auf Rodimzew. Der machte eine Handbewegung über dem Kopf und sagte: »Ein großer Mann kann sich hier nicht aufrichten – wir sind eben in einer Röhre. Was ist das schon – Verteidigung? Dabei kann man sich keine höheren Verdienste erwerben. Aber aus dieser Röhre heraus angreifen geht nicht. Wir wären schon froh, wenn wir Reserven ansammeln könnten. Aber auch das geht hier nicht.«
    Da läutete das Telefon, Rodimzew nahm den Hörer ab.
    Alle Blicke richteten sich auf ihn.
    Nachdem er

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