Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
Vom Netzwerk:
harmlos, und die Kameraden, die Bach zum Sanitätswagen brachten, beglückwünschten ihn.
    Glückselig und zugleich vor Schmerz stöhnend, begab sich Bach, auf einen Sanitäter gestützt, ins Bad.
    Die Berührung mit dem warmen Wasser tat ihm wohl.
    »Schöner als im Schützengraben, was?«, fragte der Sanitäter, und weil er dem Verwundeten etwas Nettes sagen wollte, fügte er hinzu: »Wenn Sie rauskommen, ist dort vermutlich schon alles vorbei«, und er deutete mit der Hand in die Richtung, aus der gleichmäßiger Geschützdonner herüberdröhnte.
    »Sie sind wohl noch nicht lange hier?«, fragte Bach.
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte der Sanitäter und fing an, dem Leutnant den Rücken zu schrubben.
    »Dort glaubt keiner mehr, dass die Sache bald zu Ende ist. Sie glauben alle das Gegenteil.«
    Der Sanitäter betrachtete nachdenklich den nackten Offizier in der Wanne. Bach erinnerte sich: Das Personal in den Lazaretten hatte Anweisung, über die Stimmung der Verwundeten zu berichten, und seine Worte hatten verraten, dass er nicht recht an die Stärke der Streitkräfte glaubte. Trotzdem wiederholte er langsam und deutlich: »Ja, Sani, keiner weiß, wie das noch enden wird.«
    Warum wiederholte er diese gefährlichen Worte? Das kann nur verstehen, wer unter einem totalitären Regime gelebt hat. Bach tat es einmal aus Erbitterung über die Angst, die er beim ersten Aussprechen empfunden hatte. Er tat es aber auch aus taktischen Gründen: Er suchte durch seine Unbekümmertheit den potenziellen Spitzel zu täuschen. Und dann, um den schlechten Eindruck zu verwischen, den seine oppositionelle Haltung hervorgerufen hatte, fügte er hinzu: »Eine solche Massierung der Kräfte, wie wir sie hier erleben, hat es wohl seit Kriegsbeginn nicht gegeben; das können Sie mir glauben.«
    Dann aber verlor er die Lust an diesem aufreibenden und komplizierten Spiel, und er fing an, wie ein Kind in dem warmen, seifigen Wasser herumzuspielen. Er versuchte, schnell die Finger um das Wasser in seiner Hand zu schließen, es spritzte ihm ins Gesicht und über den Rand der Badewanne.
    »Das Prinzip des Flammenwerfers«, erklärte er dem Sanitäter.
    Wie mager er geworden war! Er betrachtete seine nackten Arme, seine Brust und dachte an die junge Russin, die ihn noch vor zwei Tagen umarmt hatte. Er hätte nie gedacht, dass er in Stalingrad eine Romanze mit einer Russin erleben würde. Romanze konnte man es allerdings nicht nennen, eher eine zufällige Soldatenliebschaft in einer ungewöhnlichen, fantastischen Umgebung. Ihr Treffpunkt war ein Keller, zu dem er sich seinen Weg durch die von ständigen Explosionen erhellten Trümmerfelder suchen musste. Ein guter Stoff für ein Buch. Gestern war er mit ihr verabredet gewesen. Sicher dachte sie, er sei tot. Nach seiner Genesung würde er wieder zu ihr gehen. Wer wohl in der Zwischenzeit sein Nachfolger war? Die Natur duldete keine Leere …
    Wenig später brachte man ihn in den Röntgenraum, und der Röntgenologe stellte Bach vor den Schirm.
    »Na, dort geht’s wohl heiß her, Herr Leutnant?«, wollte er wissen.
    »Den Russen ist’s heißer als uns«, antwortete Bach, denn er wollte dem Arzt gefallen, damit er ihm eine günstige Diagnose stellte, eine Diagnose, die eine leichte, schmerzlose Operation bedeutete.
    Der Chirurg kam herein. Beide betrachteten Bachs Inneres und konnten dort das ganze Ausmaß seines oppositionellen Ungeistes erkennen, der sich in den zurückliegenden Jahren in seinem Brustkorb angesammelt hatte.
    Der Chirurg nahm Bachs Arm und drehte ihn, mal näher am Bildschirm, mal weiter davon entfernt. Ihn interessierte die Splitterverletzung; dass zu dieser Wunde ein junger Mann mit höherer Bildung gehörte, war für ihn nebensächlich.
    Die beiden Ärzte besprachen sich in einem Gemisch aus lateinischen Wörtern und deutschen Witzeleien, und Bach schloss daraus, dass seine Sache nicht schlecht stand und dass er den Arm behalten würde.
    »Bereiten Sie den Leutnant für die Operation vor«, befahl der Chirurg, »und ich schau mir hier gleich den komplizierten Fall, die schwere Schädelverletzung, an.«
    Der Sanitäter nahm Bach den Bademantel ab, die Operationsschwester bot ihm einen Hocker an.
    »Teufel«, fluchte er mit traurigem Lächeln und voller Scham über seine Nacktheit. »Sie müssen nächstes Mal den Stuhl anwärmen, Fräulein, bevor Sie ihn dem nackten Hintern eines Stalingradkämpfers anbieten.«
    Sie antwortete, ohne zu lächeln: »Wir haben keine derartige

Weitere Kostenlose Bücher