Leben und Schicksal
Order«, und sie begann Instrumente aus einem Glasschränkchen zu nehmen, über deren Aussehen Bach sehr beunruhigt war.
Doch der Splitter ließ sich leicht und rasch entfernen. Bach nahm es dem Arzt sogar etwas übel, dass dieser seine Verachtung für die unbedeutende Operation auf den Verwundeten ausweitete.
Die Operationsschwester fragte, ob man ihn ins Zimmer begleiten solle. »Ich komme schon allein hin«, antwortete er.
»Sie werden nicht lange bei uns bleiben«, sagte sie tröstend.
»Umso besser«, meinte er, »ich fange schon an, mich zu langweilen.«
Sie lächelte.
Offenbar stellte sie sich die Verwundeten so vor, wie sie in Zeitungsberichten von ahnungslosen Journalisten stets geschildert wurden, als Helden, die sich heimlich aus den Lazaretten zu ihren Einheiten zurückstahlen, um nur ja nichts zu versäumen, und deren einziger Lebenszweck es war, mit dem Feind in Berührung zu kommen. Möglich, dass diese Journalisten in den Lazaretten solche Leute getroffen hatten; Bach hingegen empfand ein geradezu schändliches Wohlbehagen, als er in dem frisch bezogenen, appetitlichen weißen Bett seine Reisgrütze aß und, nachdem er ein paarmal an seiner Zigarette gezogen hatte – es herrschte strenges Rauchverbot in den Zimmern –, mit seinen Zimmergenossen ein Gespräch anknüpfte.
Außer ihm lagen noch vier Verwundete im Zimmer – drei Frontoffiziere und ein Beamter mit eingefallener Brust und aufgeblähtem Bauch, der dienstlich an die Front gekommen und im Gebiet Gumrak in einen Autounfall verwickelt worden war. Wenn er auf dem Rücken lag und die Arme über dem Bauch verschränkte, sah es aus, als habe man dem dürren Alten zum Spaß einen Fußball unter die Decke gesteckt. Deswegen nannten ihn die anderen auch den »Torwart«.
Der »Torwart« war der Einzige, der darüber jammerte, dass ihn seine Verletzung zur Tatenlosigkeit verdammte. Er sprach in erhabenen Worten vom Vaterland, von der Armee, von der Pflicht und davon, wie stolz er darauf sei, in Stalingrad zum Krüppel geworden zu sein.
Die Frontoffiziere, die ihr Blut für das Volk vergossen hatten, lachten über seinen Patriotismus. Einer von ihnen, Kompanieführer Krapp, ein Mann mit blassem Teint, wulstigen Lippen und leicht hervortretenden braunen Augen, der wegen einer Verletzung am Gesäß auf dem Bauch liegen musste, sagte zu ihm: »Sie gehören offenbar zu den Tormännern, die den Ball auch gern einmal ins Tor jagen würden, anstatt ihn immer nur abzuwehren.« Der Kompanieführer liebte es, schlüpfrige Anspielungen zu machen.
Rachsüchtig fragte der Torwart: »Warum sind Sie denn so blass? Sie arbeiten wohl in der Schreibstube?«
Aber Krapp arbeitete nicht in der Schreibstube.
»Ich bin«, sagte er, »ein Nachtvogel, gehe nachts auf Jagd. Mit den Frauen schlafe ich, im Gegensatz zu Ihnen, am Tag.«
Es wurde auf die Bürokraten geschimpft, die abends im Auto aus Berlin aufs Land flüchteten; auf die Schreibtischhelden, die schneller zu Orden kamen als die Frontsoldaten; man sprach über die armen Familien der Frontsoldaten, deren Häuser bei Bombenangriffen zerstört wurden, schimpfte auf die Etappenhengste, die den Frauen der Soldaten nachstellten, und auf die Verkaufsbuden an der Front, wo man nur Eau de Cologne und Rasierklingen bekäme.
Neben Bach lag Leutnant Gerne. Bach dachte erst, er sei adelig, aber dann stellte sich heraus, dass er Bauer war, einer von denen, die der nationalsozialistische Umsturz groß gemacht hatte. Er war stellvertretender Stabschef eines Regiments und war bei einem nächtlichen Luftangriff von einem Bombensplitter getroffen worden.
Als sie den Torwart zur Operation geholt hatten, sagte Oberleutnant Fresser, ein einfacher Mann, der ganz in der Ecke lag: »Auf mich schießen sie seit 1939, und ich habe noch nicht ein einziges Mal mit meiner Vaterlandsliebe angegeben. Ich kriege zu essen und zu trinken und was anzuziehen, und dafür kämpfe ich, ohne Philosophie.«
Bach sagte: »Nein, wieso denn. Darin, dass die Frontkämpfer über die Verlogenheit des Torwarts lachen, liegt doch bereits eine Philosophie, oder?«
»So?«, sagte Gerne. »Und was wäre das für eine Philosophie?«
An dem feindseligen Ausdruck seiner Augen erkannte Bach, dass er zu denen gehörte, die die Intellektuellen der Vorhitlerzeit hassten. Bach hatte viel darüber gelesen und gehört, dass die Intellektuellen früher zur amerikanischen Plutokratie tendiert und heimlich mit dem Talmudismus und der jüdischen Abstraktion sowie
Weitere Kostenlose Bücher