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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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steckte, sie waren ja eigentlich selbst der unmittelbarste Beweis dieser Kraft. Sie wussten aber auch, dass die Preußen keineswegs bis zur Wolga und bis Stalingrad gekommen waren, weil die Russen sie stets besiegten.
    In Krymow ging in diesen Augenblicken etwas Seltsames vor. Er konnte es sonst nie leiden, wenn politische Funktionäre die großen russischen Feldherren rühmten. Seinem revolutionären Geist widerstrebte es, wenn in den Artikeln der »KrasnajaSwesda« 4 Dragomirow erwähnt wurde, und er fand die Einführung der Suworow-, Kutusow- und Bogdan-Chmelnizki-Orden unnötig. »Revolution ist Revolution«, dachte er, »ihre Armee braucht nur ein Banner – das rote.«
    Einst, als er noch im Revolutionsausschuss in Odessa gearbeitet hatte, war er im Zug der Schauerleute und Komsomolzen mitmarschiert, die die Bronzestatue des großen Feldherrn, der die Feldzüge des russischen Heers nach Italien angeführt hatte, vom Sockel stürzen wollten.
    Hier nun, im Haus »sechs Strich eins«, hatte Krymow Suworows berühmten Ausspruch zum ersten Mal in seinem Leben zitiert. Er fühlte den Ruhm, den sich das bewaffnete russische Volk durch die Jahrhunderte immer wieder errang. Ihm war, als gewänne nicht nur das Thema seiner Vorträge neue Aktualität für ihn, es war das Thema seines Lebens.
    Aber warum überkamen ihn gerade heute, als er wieder die vertraute Luft der Lenin’schen Revolution zu atmen glaubte, diese sonst so verhassten Gefühle und Gedanken?
    Das höhnische, träge »fürwahr«, das alle Soldaten zum Lachen gebracht hatte, traf ihn tief.
    »Das Kämpfen braucht man euch nicht beizubringen, Genossen«, sagte Krymow. »Ihr könntet selbst als Lehrer auftreten. Warum wohl hat es die Heeresführung aber doch für nötig befunden, mich zu euch zu schicken? Was glaubt ihr?«
    »Vielleicht hatten Sie Lust auf unsere Suppe?«, schlug einer leise und friedfertig vor.
    Doch das Gelächter, mit dem die Zuhörer diese Vermutung quittierten, war nicht leise. Krymow schaute Grekow an. Grekow lachte mit den anderen.
    »Genossen«, sagte Krymow, und die Wut färbte seine Wangen rot, »nun mal im Ernst, Genossen, die Partei schickt mich.«
    Was war das nun? Eine zufällige Blödelei oder eine Rebellion? War es ein aus der Gewissheit der eigenen Kraft und Erfahrung erwachsendes Missfallen an Krymows Predigt? Aber vielleicht war die Heiterkeit gar nicht rebellisch gemeint, sondern beruhte auf dem in Stalingrad verbreiteten Gefühl einer natürlichen Gleichheit aller?
    Warum ärgerte ihn aber dann dieses Gefühl der natürlichen Gleichheit hier, während es ihn an anderer Stelle so begeistert hatte, und weckte in ihm den Wunsch, es zu unterdrücken, zu ersticken?
    Er kam mit diesen Leuten nicht deshalb nicht zurecht, weil sie etwa unterdrückt, verwirrt und ängstlich gewesen wären, sondern weil sie sich im Gegenteil stark und sicher fühlten. War es etwa ihre Selbstsicherheit, die den Kontakt zu Kommissar Krymow erschwerte, die sie einander entfremdete, ja, miteinander verfeindete?
    Der Alte, der die Fladen gebacken hatte, sagte: »Ach, ich wollte schon lange einmal einen Parteimenschen was fragen. Es heißt doch, dass beim Kommunismus jeder das bekommen soll, was seinen Bedürfnissen entspricht; wie soll das aber gehn, wenn jeder, der gern trinkt, besonders schon am Morgen, nach seinen Bedürfnissen zu trinken kriegt? Werden sich dann alle um den Verstand saufen?«
    Krymow drehte sich nach dem Alten um und bemerkte, dass es diesem durchaus ernst war mit seiner Frage.
    Grekow aber lachte; seine Augen lachten, und seine breiten Nasenflügel blähten sich vor Lachen.
    Ein Pionier mit einem blutverkrusteten, dreckigen Kopfverband fragte: »Und wie ist es mit den Kolchosen, Genosse Kommissar? Wird man die nach dem Krieg wohl endlich auflösen?«
    »Das wäre ein hübsches Thema für einen Vortrag«, sagte Grekow.
    »Ich bin nicht gekommen, um Vorträge zu halten«, wehrte Krymow ab. »Ich bin Kriegskommissar und bin gekommen, euer unzulässiges Partisanentum auszumerzen.«
    »Merzen Sie«, sagte Grekow ruhig. »Wer wird dann aber die Deutschen ausmerzen?«
    »Da wird sich schon jemand finden, keine Angst. Ich bin nicht wegen Ihrer Suppe gekommen, wie Sie sich auszudrücken beliebten, sondern um einen bolschewistischen Brei zu kochen.«
    »Nur zu, merzen Sie, kochen Sie«, sagte Grekow wieder.
    Krymow musste lachen, wurde aber gleich wieder ernst und gab zurück: »Sie, Genosse Grekow, werden leider zusammen mit dem

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