Leben und Schicksal
dicht nebeneinanderlagen und sich die dunklen, etwa armdicken Kabel verzweigten, war etwas mit Mennige an die Wand geschrieben. Der MP-Schütze hob seine Lampe und sagte: »Hier sind die Deutschen über uns.«
Bald bogen sie in einen engen Gang ab und bewegten sich nun auf einen winzigen hellgrauen Lichtfleck an dessen Ende zu; der Fleck wurde heller und größer. Immer lauter waren die Einschläge und Maschinengewehrsalven zu hören.
Einen Augenblick schien es Krymow, als ginge er aufs Schafott. Doch plötzlich traten sie aus dem Gang hinaus, und das Erste, was Krymow sah, waren menschliche Gesichter, die eine göttliche Ruhe auszustrahlen schienen.
Ein unbeschreibliches, freudiges, leichtes Gefühl erfüllte ihn.
Selbst den tosenden Krieg empfand er nicht mehr als Gratwanderung zwischen Leben und Tod, sondern als ein Gewitter, das sich über dem Kopf eines jungen, kräftigen, vitalen Wanderers entlud.
Plötzlich war er ganz sicher, dass sein Schicksal eine neue, glückliche Wendung nehmen würde.
Er sah gewissermaßen in diesem hellen Tageslicht seine Zukunft vor sich: Er würde wieder die Kraft seines Verstandes, seines Willens und seiner bolschewistischen Leidenschaft ausleben können.
In das Gefühl der Sicherheit und jugendlichen Kraft mischte sich jedoch die Trauer um seine Frau, die ihn verlassen hatte und die ihm jetzt so unendlich liebenswert vorkam.
Aber jetzt schien auch sie ihm nicht mehr für immer verloren. Mit der neuen Kraft und dem Leben von früher würde auch sie zu ihm zurückkehren. Er würde sie suchen gehen!
Ein alter Mann, die Mütze in die Stirn geschoben, stand an einem offenen Feuer und wendete mit einem Bajonett Kartoffelfladen, die auf einem Stück Dachblech lagen. Die fertigen Fladen legte er in einen Stahlhelm. Als er den Melder sah, fragte er schnell: »Hast du Serjoscha gesehn?«
Der Melder sagte streng: »Ich bringe einen Vorgesetzten.«
»Wie alt, Väterchen?«, fragte Krymow.
»Sechzig«, erwiderte der Alte und fügte hinzu: »Ich bin von der Arbeiter-Volkswehr.«
Er schielte wieder zu dem Melder hinüber: »Ist Serjoscha bei euch?«
»Beim Regiment ist er nicht; ist offenbar bei unserem Nachbarn gelandet.«
»Ach«, seufzte der Alte, »da wird er draufgehen.«
Krymow begrüßte die Männer, schaute sich um und betrachtete prüfend die Kellerräume mit den halb demontierten hölzernen Zwischenwänden. An einer Stelle war in einer Schießscharte, die man in die Wand gebrochen hatte, eine Regimentskanone zu sehen.
»Wie auf einem Schlachtschiff«, sagte Krymow.
»Ja, nur mit dem Wasser hapert es etwas«, antwortete ein Rotarmist.
Aus Steinlöchern und Mauerspalten ragten Granatwerfer hervor. Auf dem Boden lagen geflügelte Granaten und unweit davon auf einer Zeltplane eine Ziehharmonika.
»Das ist also das Haus Nummer ›sechs Strich eins‹, das sich so tapfer hält und sich den Faschisten nicht ergibt«, sagte Krymow laut. »Die ganze Welt, Millionen Menschen freuen sich darüber.«
Die Männer schwiegen.
Der alte Poljakow brachte Krymow den Stahlhelm mit den Fladen.
»Und schreibt man auch darüber, wie Poljakow Fladen backt?«
»Da habt ihr was zu lachen«, schimpfte Poljakow, »aber unseren Serjoscha haben sie weggejagt.«
Ein Granatwerferschütze fragte: »Ist die zweite Front noch nicht eröffnet? Wissen Sie nichts?«
»Bis jetzt nicht«, erwiderte Krymow.
Ein Mann in Unterhemd und offener Militärjacke sagte: »Als sie anfingen, mit schwerer Artillerie vom anderen Wolga-Ufer über uns wegzudonnern, hat die Druckwelle unsern Kolomeizew glatt umgehauen; er ist aufgestanden und hat gesagt: ›Na, Jungs, jetzt ist die zweite Front eröffnet‹«
Ein dunkelhaariger Bursche mischte sich ein: »Also, wenn die Artillerie nicht wäre, säßen wir schon lange nicht mehr hier, das ist doch wohl klar. Die Deutschen hätten uns längst kassiert,«
»Wo ist eigentlich der Kommandeur?«, fragte nun Krymow.
»Der hockt dort ganz vorn.«
Der Kommandeur lag auf einem hohen Ziegelhaufen und schaute durchs Fernrohr.
Als Krymow ihn anrief, drehte er unwillig den Kopf und legte warnend den Finger an den Mund; dann griff er wieder zum Fernglas. Wenige Augenblicke später fingen seine Schultern an zu beben; er lachte. Er kroch hinunter und sagte lächelnd »Schlimmer als Schach«, und als er die grünen Streifen und den Kommissarstern an der Uniformjacke Krymows sah, fügte er hinzu: »Guten Tag, Genosse Bataillonskommissar!« Dann stellte er sich vor:
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