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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Anna Semjonowna, Tolja und Marussja, mit der Freude über die Heimkehr verbinden und das Herz ganz ausfüllen würden.
    Doch es war ganz anders gekommen. Im Zug hatte er sich über alle möglichen Kleinigkeiten geärgert. Es hatte ihn aufgeregt, dass Ljudmila Nikolajewna fast nur schlief und die Landschaft, die doch ihr Sohn verteidigt hatte, keines Blickes würdigte. Zu allem Überfluss hatte sie so laut geschnarcht, dass ein vorbeikommender Verwundeter sagte: »Donnerwetter, wie ein richtiger Gardist!«
    Auch Nadja hatte ihn aufgeregt: Ihre Mutter musste hinter ihr die Reste der Mahlzeiten wegräumen, während sich Nadja ungerührt die schönsten Kekse aus der Tasche nahm. Dem Vater gegenüber hatte sie einen albernen, kindischen Ton angeschlagen; einmal hatte Strum sie belauscht, als sie im Nachbarabteil erzählte: »Mein Papi ist ein großer Musikfreund und klimpert sogar selbst auf dem Klavier.«
    Die Mitreisenden unterhielten sich über die Moskauer Kanalisation und die Zentralheizung, über die leichtsinnigen Leute, die ihre Miete nicht weitergezahlt und dadurch ihre Wohnung verloren hatten, und darüber, welche Nahrungsmittel man am besten nach Moskau mitnehmen müsse und welche nicht. Strum hatten diese Gespräche über so alltägliche Dinge geärgert, doch auch er hatte sich über Hausverwalter und Wasserleitungen verbreitet und sich nachts, wenn er nicht schlafen konnte, den Kopf darüber zerbrochen, wie er sich in Moskau möglichst schnell als Empfänger von Lebensmittelmarken registrieren lassen könne und ob das Telefon wohl ginge.
    Die Zugbegleiterin hatte beim Fegen des Abteils unter der Bank ein von Strum weggeworfenes Hühnerbein gefunden und geschimpft: »Das wollen kultivierte Leute sein, die reinsten Schweine!«
    In Murom waren er und Nadja auf dem Bahnsteig jungen Leuten in Pekeschen und Persianerkragen begegnet, und einer der Jugendlichen hatte gesagt: »Abraham kehrt aus der Evakuierung zurück.«
    Ein Zweiter hatte ergänzt: »Abraham hat’s eilig, seine Tapferkeitsmedaille für die Verteidigung Moskaus in Empfang zu nehmen.«
    Auf der Station Kanasch hatte der Zug neben einem Gefangenentransport gehalten. Posten waren an den geheizten Güterwagen auf und ab gegangen, blasse Gesichter hatten sich an die winzigen Gitterfenster gedrängt und geschrien: »Zigaretten, Tabak.« Die Posten hatten geschimpft und die Gefangenen von den Fenstern weggescheucht.
    Abends war er in den Nachbarwaggon zu den Sokolows gegangen. Marja Iwanowna hatte gerade die Betten gemacht. Sie trug ein hübsches buntes Kopftuch und schien ganz in Anspruch genommen von der Sorge um Pjotr Lawrentjewitschs Bequemlichkeit, dem sie das untere Bett vorbereitete, während sie selbst oben schlief. Ganz zerstreut und abwesend hatte sie auf Strums Fragen geantwortet und sich nicht einmal nach Ljudmila Nikolajewnas Befinden erkundigt.
    Sokolow hatte währenddessen gegähnt und über die stickige Luft im Waggon geklagt. Strum war stockbeleidigt, dass Sokolow sich so gar nicht über seinen Besuch zu freuen schien.
    »Ich habe wirklich noch nie erlebt«, hatte er gesagt, »dass der Mann seine Frau zwingt, oben zu schlafen, während er sich’s unten bequem macht.« Diese Worte hatte er so ärgerlich herausgebracht, dass er selbst darüber überrascht war.
    »Aber das machen wir immer so«, hatte Marja Iwanowna verwundert gesagt. »Pjotr Lawrentjewitsch ist es oben zu stickig, und mir macht das nichts aus.«
    Dabei hatte sie Sokolow auf die Schläfe geküsst.
    »Also, ich geh jetzt wieder«, hatte Strum sich verabschiedet und sich geärgert, dass sie ihn nicht zurückhielten.
    Nachts war es schwül gewesen im Waggon. Er hatte an Kasan gedacht, an Karimow, Alexandra Wladimirowna, an die Gespräche mit Madjarow, an das enge Arbeitszimmer in der Universität … Wie lieb ihn Marja Iwanowna immer angesehen hatte, wenn er abends zu den Sokolows gekommen war, um über Politik zu diskutieren. Nicht so zerstreut und fremd wie vorhin im Zug.
    »Zum Teufel mit ihm«, dachte er, »er schläft einfach unten, wo es bequemer und kühler ist, so ein Pascha.«
    Er ärgerte sich auch über Marja Iwanowna, die er für die beste aller ihm bekannten Frauen hielt, sanft und gütig, wie sie war. »Rotnasiges Karnickelchen«, dachte er, »ein schwieriger Mann, dieser Pjotr Lawrentjewitsch, weichlich, zurückhaltend, aber ein grenzenloses Selbstbewusstsein … Verschlossen und nachtragend. Nein, mit dem hat sie’s nicht leicht, die Arme.«
    Er hatte einfach

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