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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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unterbrochen. Sie konnten kaum miteinander sprechen – der Lärm der Einschläge übertönte ihre Stimmen, und vor lauter Staub bekamen sie immer wieder Hustenanfälle.
    Berjoskin, der noch am Vortag bewusstlos im Fieber gelegen hatte, fühlte keinerlei Schwäche mehr. Seiner Kraft ordneten sich in der Schlacht gewöhnlich Kommandeure wie Rotarmisten bedingungslos unter, aber es war keine militärische oder kämpferische Kraft, die ihn auszeichnete, sondern die innere Kraft eines besonnenen, vernünftigen Menschen. Nur wenigen gelang es, sich diese Kraft in der Hölle des Kampfes zu bewahren und sie anderen mitzuteilen, und diejenigen, die diese zivile, besonnene, menschliche Kraft besaßen, waren die wahren Meister des Krieges.
    Plötzlich verstummten die Bomben, und die Verschütteten hörten ein stählernes Dröhnen.
    Berjoskin wischte sich mit dem Ärmel die Nase, hustete und sagte: »Das Wolfsrudel hat sein Geheul angestimmt – die Panzer rollen ins Traktorenwerk.« Dann fügte er hinzu: »Wir sitzen genau unter ihrem Weg.«
    Und weil sich im Augenblick nichts Schlimmeres denken ließ, stimmte Dyrkin plötzlich laut und immer wieder hustend mit krächzender Stimme ein Lied aus einem Film an:
    »Schön, Brüder, schön ist das Leben der Kosaken,
    Unter unserm Ataman muss keiner Trübsal blasen …«
    Der Telefonist zweifelte zwar am Verstand des Bataillonskommandeurs, fiel aber doch hustend und krächzend ein:
    »Die Frau wird um mich trauern,
    dann nimmt sie einen andern,
    dann nimmt sie einen andern
    und denkt nicht mehr an mich.«
    Über ihnen aber, in der dröhnenden, von Rauch, Staub und dem Heulen der Panzer erfüllten Werkshalle, stemmte Gluschkow, die Haut an Handflächen und Fingern in Fetzen gerissen, Steine und Betonklötze hoch und bog die Stäbe der Armierung auseinander. Gluschkow arbeitete wie ein Wahnsinniger, und nur der Wahnsinn half ihm, schwerste Balken wegzuschieben und eine Arbeit zu leisten, die sonst keine zehn Männer bewältigt hätten.
    Berjoskin erblickte wieder das staubige, rauchige, vom Krachen der Detonationen, dem Heulen deutscher Panzer und dem Lärm der Geschütze und Maschinengewehre erfüllte Tageslicht. Und doch war es ein klares, ruhiges Licht, und bei seinem Anblick dachte er als Erstes: »Siehst du, Tamara, du machst dir ganz unnötige Sorgen. Ich hab dir ja gesagt, dass nichts Besonderes passiert.« Die kräftigen Arme Gluschkows umfassten ihn.
    Dyrkin schluchzte auf: »Melde gehorsamst, Genosse Regimentskommandeur, dass ich ein totes Bataillon befehlige.«
    Er beschrieb mit den Armen einen Kreis um sich.
    »Wanja, unser Wanja ist nicht mehr.« Er deutete auf die Leiche des Bataillonskommissars, die auf der Seite in einer samtschwarzen Lache aus Blut und Maschinenöl lag. Im Gefechtsstand des Regiments war so weit alles in Ordnung – nur Tisch und Bett waren voller Erdbrocken.
    Als Piwowarow Berjoskin sah, fing er erleichtert an zu fluchen und stürzte auf ihn los.
    Berjoskin fragte: »Haben wir Verbindung mit den Bataillonen? Was macht das abgeriegelte Haus? Was macht Podtschufarow? Dyrkin und ich haben wie Spatzen in einer Mausefalle gesessen keine Verbindung, kein Licht. Wer lebt, wer ist gefallen? Wo stehen wir, wo die Deutschen – ich weiß überhaupt nichts mehr. Berichten Sie mir. Während ihr gekämpft habt, haben wir da unten Liedchen gesungen.«
    Piwowarow begann, die Verluste aufzuzählen, und berichtete dass die Männer im Haus »sechs Strich eins« völlig zugeschüttet worden seien, alle, auch der ungehobelte Grekow, seien gefallen nur ein Aufklärer und ein alter Volkswehrmann seien davongekommen.
    Doch das Regiment hielt dem deutschen Ansturm stand, wer überlebt hatte, kämpfte zäh und verbissen weiter.
    In diesem Moment schnarrte das Telefon, und die Stabsoffiziere sahen sich nach dem Nachrichtensoldaten um; an seiner Miene erkannten sie, dass der Anruf vom Oberkommandierenden der Stalingradfront kam.
    Der Nachrichtensoldat übergab Berjoskin den Hörer – die Verbindung war gut, und die ehrfurchtsvoll verstummten Männer im Unterstand vernahmen deutlich die gespannt-verhaltene Stimme Tschuikows: »Berjoskin? Der Divisionskommandeur ist verletzt, sein Stellvertreter und der Stabschef sind gefallen. Ich befehle Ihnen, das Kommando über die Division zu übernehmen« – und nach einer Pause fügte er langsam und betont hinzu: »Du hast dein Regiment unter noch nie da gewesenen, höllischen Bedingungen befehligt, hast dem Ansturm standgehalten. Ich

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