Leben und Schicksal
aufgeräumt. In deinem Zimmer sieht’s aus, als wäre nie Krieg gewesen, du mein lieber, lieber Junge … «
26
Die aus der Evakuierung heimgekehrten Wissenschaftler hatten sich zu einer Sitzung versammelt.
Alle diese alten und jungen Leute – blasse, kahle, solche mit großen und solche mit kleinen, stechenden Augen, solche mit breiter und solche mit schmaler Stirn –, die sich hier zusammengefunden hatten, empfanden die höchste Poesie, die es im Leben eines Menschen geben kann – die Poesie der Prosa. Vergessen waren die feuchten Bettlaken und das klamme Papier der in ungeheizten Räumen liegenden Bücher, vergessen die Vorlesungen die man im Mantel mit hochgeschlagenem Kragen hielt, die Formeln, die man mit roten, vor Kälte steifen Fingern niederschrieb, vergessen auch der Moskauer Salat aus schleimigen Kartoffeln und durchlöcherten Kohlblättern, das Gedränge bei der Lebensmittelmarkenausgabe und die ewige Sorge um die Listen für Pökelfisch und zusätzliche Fettrationen – alles war plötzlich weit weg. Man begrüßte sich stürmisch.
Strum entdeckte Tschepyschin neben dem Akademiemitglied Schischakow.
»Dmitri Petrowitsch! Dmitri Petrowitsch!«, sagte er ein ums andere Mal, während er das liebe Gesicht musterte. Tschepyschin umarmte ihn.
»Schreiben Ihnen Ihre Jungs von der Front?«
»Ja, es geht ihnen gut.«
Tschepyschin lächelte nicht, an seinem Stirnrunzeln merkte Strum, dass er bereits von Toljas Tod wusste.
»Viktor Pawlowitsch«, sagte er. »Bitte übermitteln Sie Ihrer Gattin in meinem und in Nadeschda Fjodorownas Namen unser tief empfundenes Beileid.«
Dann aber fuhr er fort: »Ich habe Ihre Arbeit gelesen – interessant, sehr interessant, viel bemerkenswerter, als es zunächst den Anschein hat … Verstehen Sie, interessanter, als wir im Augenblick ermessen können …«
Unvermittelt küsste er Strum auf die Stirn.
»Ach, ich bitte Sie, nicht der Rede wert«, winkte Strum bescheiden ab, konnte aber gleichzeitig seine Freude über dieses Lob nicht verhehlen. Auf dem Weg zur Sitzung hatte ihn noch der eitle Gedanke gequält, ob überhaupt jemand seine Arbeit gelesen hatte, und wenn ja, was man dazu sagen würde. Jetzt, nach Tschepyschins Worten, hatte er keinen Zweifel mehr, dass an diesem Abend nur von ihm und seiner Arbeit die Rede sein würde.
Schischakow stand neben ihnen, Strum hätte Tschepyschin gern noch eine Menge unter vier Augen erzählt, aber in Schischakows Gegenwart unterließ er es. Immer wenn er Schischakow sah, musste er an die spöttische Bemerkung Gleb Uspenskis denken, der ihn einen »pyramidalen Hornochsen« genannt hatte.
Das quadratische, fleischige Gesicht Schischakows, der arrogante, fleischige Mund, die fleischigen Finger mit den stets polierten Nägeln, der silbergraue, akkurate und dichte Bürstenschnitt, sein stets untadeliger Anzug – all das wirkte auf Strum einschüchternd. Jedes Mal, wenn er ihn traf, ertappte er sich bei der ängstlichen Frage: »Erkennt er mich? Wird er mich grüßen?« Und freute sich dann, sehr zum Ärger über sich selbst, wenn Schischakow mit seinen fleischigen Lippen langsam einige fleischig klingende Worte an ihn richtete.
»Ein arroganter Ochse«, sagte Strum einmal zu Sokolow, als sie über Schischakow sprachen. »Ich komme mir bei ihm immer vor wie ein Provinzjude vor einem Kavallerieobersten.«
»Und wenn man bedenkt«, warf Sokolow ein, »dass er seine Berühmtheit dem Umstand verdankt, dass er beim Entwickeln von Fotografien das Positron nicht erkannt hat! Jeder Aspirant kennt den Schischakow’schen Fehler!«
Sokolow sprach selten schlecht über andere, entweder aus Vorsicht oder aus christlicher Nächstenliebe, die ja keine üble Nachrede duldet. Doch Schischakow ärgerte ihn furchtbar, und Pjotr Lawrentjewitsch konnte es sich nicht versagen, über ihn zu schimpfen oder zu spotten.
Man sprach über den Krieg.
»Sie haben den Deutschen an der Wolga zum Stehen gebracht«, sagte Tschepyschin. »Das ist die Macht der Wolga. Lebendiges Wasser, lebendige Kraft.«
»Ja, ja, Stalingrad«, sagte Schischakow, »dort haben sich der Triumph unserer Strategie und die Standhaftigkeit unseres Volkes vereint.«
Plötzlich fragte Tschepyschin: »Alexej Alexejewitsch, haben Sie eigentlich schon die neueste Arbeit von Viktor Pawlowitsch gelesen?«
»Habe davon gehört, natürlich, aber gelesen habe ich sie noch nicht.«
Sein Gesicht verriet nicht, was genau er über die Arbeit gehört hatte.
Strum wechselte einen langen
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