Leben und Schicksal
diese nagende Sorge, ob man genügend respektiert würde und wie man bei der Institutsleitung angeschrieben war. Und zugleich arbeitete in der Seele all das weiter, was nicht von der Institutsleitung, vom beruflichen Erfolg oder Misserfolg und den Prämien abhing.
Die Kasaner Abende erschienen ihm rückblickend schön und beschwingt – sie hatten Ähnlichkeit mit den Studentenversammlungen der vorrevolutionären Zeit gehabt. Wenn nur Madjarow nicht falsch gespielt hatte! Zu komisch: Karimow verdächtigte Madjarow, und Madjarow verdächtigte Karimow … Dabei waren beide ehrlich, davon war er überzeugt. Andererseits aber – wie hat Heine gesagt: »Die beiden stinken.«
Hin und wieder dachte Strum an das Gespräch mit Tschepyschin über den Sauerteig. Warum kam hier in Moskau plötzlich dieser nichtige Kleinkram wieder in ihm hoch? Und warum kamen Leute zu Ehren, von denen er nichts hielt, während sich diejenigen, an deren Kraft und Talent und Anständigkeit er glaubte, als unbrauchbar erwiesen? Tschepyschin hatte doch über Hitler-Deutschland gesprochen, Tschepyschin hatte sich doch geirrt.
»Ist es nicht merkwürdig«, sagte Strum zu Sokolow, »dass die Leute aus den anderen Labors kommen, um uns bei der Montage zuzusehn, während Schischakow dafür offenbar keine Zeit hat; kein einziges Mal war er hier.«
»Er hat eben viel zu tun«, erwiderte Sokolow.
»Natürlich, natürlich«, stimmte ihm Strum hastig zu.
Zum Teufel, seit sie wieder in Moskau waren, wollte es ihm einfach nicht gelingen, ein offenes Gespräch mit Pjotr Lawrentjewitsch zu führen, wie man es unter Freunden eben führt, er war wie verwandelt.
Er stritt nicht mehr mit Sokolow, vermied ängstlich jede Auseinandersetzung, auch wenn es ihm nicht immer leichtfiel, und manchmal kam es dann ganz unerwartet doch zum Streit.
Einmal hatte er beispielsweise zögernd angefangen: »Ich habe gerade an unsere Kasaner Gespräche gedacht … Wie geht es denn Madjarow? Schreibt er Ihnen?«
Sokolow schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, wie es Madjarow geht. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir uns vor der Abreise nicht mehr gesehen haben. Ich denke immer weniger gern an unsere damaligen Gespräche zurück. Aus Niedergeschlagenheit haben wir ein paar zeitweilige militärische Schwierigkeiten mit irgendwelchen eingebildeten Mängeln des Sowjetlebens in Verbindung gebracht. Alles, was wir dem Sowjetstaat als Minuspunkt angerechnet haben, hat sich als Pluspunkt erwiesen.«
»Wie zum Beispiel das Jahr 1937«, sagte Strum.
Sokolow fuhr auf: »Viktor Pawlowitsch, in letzter Zeit kann man nicht mehr mit Ihnen reden, ohne dass es Streit gibt.«
Strum wollte erwidern, dass das nicht an ihm liege, sondern an Sokolow, dessen Gereiztheit ihn dazu bringe, aus jedem Anlass zu streiten.
Stattdessen sagte er: »Kann schon sein, Pjotr Lawrentjewitsch, ich habe eben einen schwierigen Charakter. Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Das hat auch Ljudmila Nikolajewna schon bemerkt.«
Noch während er diese Worte aussprach, dachte er verwundert: »Ich stehe ganz allein da. Zu Hause und bei der Arbeit, und bei meinem Freund – ganz allein.«
29
Beim Reichsführer-SS Himmler sollte eine Konferenz über die Sondermaßnahmen stattfinden, mit deren Durchführung das Reichssicherheitshauptamt, RSHA, betraut worden war. Die Konferenz stand im Zusammenhang mit Himmlers Reise zum Führerhauptquartier und war daher von besonderer Wichtigkeit.
Sturmbannführer Liss hatte aus Berlin Befehl erhalten, zum Bericht über den Fortgang der Bauarbeiten an dem Sonderobjekt neben der Lagerverwaltung anzureisen.
Vor der Besichtigung des Objekts sollte Liss die Firma Voß und das chemische Werk besuchen, die im Auftrag des RSHA für dieses Projekt Aufträge ausführten. Danach sollte Liss in Berlin dem für die Konferenz verantwortlichen SS-Obersturmbannführer Eichmann über den Stand der Dinge berichten.
Liss freute sich auf die Dienstreise; die Lageratmosphäre und der ständige Umgang mit groben, primitiven Menschen bedrückten ihn.
Als er abfuhr, fiel ihm Mostowskoi ein.
Wahrscheinlich grübelte der Alte in seiner Zelle Tag und Nacht darüber nach, warum Liss ihn hatte rufen lassen, und wartete gespannt auf ein zweites Interview.
Dabei hatte er nur gewisse Gedanken nachprüfen wollen im Zusammenhang mit der Abhandlung, die er schreiben wollte: »Die Ideologie des Feindes und ihre Führer«.
Was für ein interessanter Charakter! Es war schon so – wer in den Kern eines Atoms
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