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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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»Soldat und Freund, Soldat und Freund!« Dann fragte er streng: »Was hast du geschrieben?«
    »Wassili Iwanowitsch, Soldat und Freund«, las die Sekretärin. Ihr leiernder Tonfall schien den General zu ärgern, und er korrigierte sie mit erhobener Stimme: »Wassili Iwanowitsch, Soldat und Freund …«
    Die Rührung übermannte ihn, und er murmelte: »Soldat und Freund … Soldat und Freund …«
    Dann fragte er mit tränenerstickter Stimme, aber dennoch streng, zum zweiten Mal: »Was hast du da geschrieben?«
    »Wassili Iwanowitsch, Soldat und Freund«, sagte die Sekretärin.
    Nein, er hätte sich nicht zu beeilen brauchen, dachte Krymow.
    Das flackernde Feuer erleichterte die Orientierung nicht, sondern erschwerte sie sogar. Es schien aus der Tiefe der Erde zu kommen, ja, die Erde schien selbst zu brennen, so feucht und schwer war dieses niedrige Feuer …
    Sie kamen zum unterirdischen Befehlsstand des Kraftwerksdirektors. Die im Umkreis niedergegangenen Bomben hatten große Erdhaufen aufgeworfen, und der noch nicht ausgetrampelte Pfad zum Eingang in den Luftschutzkeller war kaum zu erkennen.
    Der Wachsoldat sagte: »Da sind Sie ja gerade am Oktoberfeiertag gekommen.«
    Krymow wollte Spiridonow allein sprechen und befahl daher dem Posten, den Direktor herauszurufen und ihm zu sagen, ein Kommissar aus dem Frontstab sei gekommen und wolle ihn sprechen. Als er allein war, geriet er in eine unbezähmbare Erregung.
    »Was ist nur los mit mir«, dachte er. »Ich hab gedacht, ich bin geheilt. Hat mich denn nicht einmal der Krieg hart machen können? Was soll ich nur machen?«
    »Los, hau ab, so schnell du kannst, sonst kommst du um«, murmelte er vor sich hin, aber er hatte nicht die Kraft, wegzulaufen.
    Spiridonow trat aus dem Schacht.
    »Was gibt’s, Genosse?«, fragte er unzufrieden.
    Krymow fragte: »Erkennst du mich denn nicht, Stepan Fjodorowitsch?«
    Spiridonow fragte beunruhigt. »Wer ist das?« Und er betrachtete forschend Krymows Gesicht. Dann schrie er auf: »Nikolai, Nikolai Grigorjewitsch!«
    Er umarmte Krymow in einer jähen Aufwallung.
    »Mein lieber Nikolai«, flüsterte er unter Tränen.
    Auch Krymow überwältigte die Rührung bei dieser nächtlichen Begegnung inmitten rauchender Trümmer. Er spürte, dass er weinte. Allein, ganz allein … In der Zutraulichkeit und Freude Spiridonows spürte er seine Verbundenheit mit der Familie Jewgenia Nikolajewnas, und an dieser Verbundenheit konnte er erneut seine seelische Qual ermessen. Warum, warum nur war sie weggegangen, warum hatte sie ihm diesen Schmerz zugefügt? Wie hatte sie das tun können?
    Spiridonow sagte: »Ach, dieser Krieg, was hat der nicht alles angerichtet, mein Leben hat er zerstört. Meine Marussja ist tot …«
    Er erzählte von Vera, dass sie vor einigen Tagen schließlich doch das Kraftwerk verlassen und ans linke Ufer hinübergefahren sei.
    »Die dumme Gans«, sagte er.
    »Wo ist denn ihr Mann?«, fragte Krymow.
    »Wahrscheinlich schon längst nicht mehr auf dieser Welt – er ist doch Jagdflieger.«
    Krymow konnte sich nicht länger beherrschen und fragte »Was ist mit Jewgenia Nikolajewna? Lebt sie, und wo ist sie?«
    »Sie lebt, entweder in Kuibyschew oder in Kasan.«
    Mit einem Blick auf Krymow fügte er hinzu: »Das ist schließlich das Wichtigste, dass sie lebt.«
    »Ja, natürlich, das ist das Wichtigste«, pflichtete ihm Krymow bei, obwohl er nicht wusste, was das Wichtigste war. Er wusste nur, dass der Schmerz in seinem Herzen nie vergehen würde und dass alles, was mit Jewgenia Nikolajewna zusammenhing, ihm Schmerz bereiten würde. Ob er erfuhr, dass es ihr gutging oder dass sie traurig war und Not litt — alles war für ihn gleich schmerzlich.
    Stepan Fjodorowitsch sprach über Alexandra Wladimirowna, Serjoscha und Ljudmila, und Krymow nickte und murmelte halblaut: »Ja, ja, ja … ja, ja, ja …«
    »Gehen wir, Nikolai Grigorjewitsch«, sagte Stepan Fjodorowitsch, »gehen wir zu mir. Ich habe zurzeit kein anderes Zuhause als dieses.«
    Die schwachen Flammen der Öllämpchen konnten die mit Pritschen, Schränken, Apparaten, Glasballons und Mehlsäcken vollgestellte unterirdische Behausung nicht völlig erhellen.
    Auf Bänken, Pritschen und Kisten entlang der Wand saßen ein paar Männer. Die stickige Luft war mit Stimmengewirr angefüllt.
    Spiridonow goss Alkohol in Gläser, Krüge und Napfdeckel. Es wurde still; alle folgten mit ernstem, gelassenem Blick seinen Bewegungen. Sie vertrauten darauf, dass er gerecht sein

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