Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
Vom Netzwerk:
Donner stinkender und Stickluft verbreitender Detonationen, die Erde und Menschen erzittern ließen. Ein dicker schwarzer Klotz schlug auf den Boden auf, sprang in die Höhe und rollte Berjoskin vor die Füße; er dachte zuerst, dass ihn da beinahe ein von der Detonation aufgewirbeltes Holzscheit am Fuß getroffen hätte.
    Die Spannung dieser Sekunde war unerträglich.
    Plötzlich aber erkannte er, dass es ein Blindgänger war. Das Geschoss explodierte nicht, und der schwarze Schatten, der Himmel und Erde verdunkelt, das Vergangene verhüllt und die Zukunft aufgehoben hatte, verschwand.
    Der Kompaniechef erhob sich wieder.
    »Ein ganz schöner Brummer«, sagte jemand mit verstörter Stimme, und ein anderer lachte: »Ich hab gedacht, jetzt ist’s aus, und bin in Deckung gegangen …«
    Berjoskin wischte sich den Schweiß von der Stirn, hob die kleine weiße Aster vom Boden auf, schüttelte den Ziegelstaub ab, steckte sie dem Leutnant an die Brust und sagte: »Ein Geschenk wahrscheinlich …«
    Darauf wandte er sich an Podtschufarow: »Warum ist es bei Ihnen trotz alledem ruhig? Weil kein Vorgesetzter kommt? Die über dir wollen doch nur immer irgendwas von dir: Hast du einen guten Koch, dann nehme ich ihn dir weg. Hast du einen vorzüglichen Friseur oder Schneider – her damit. DieseKalymschtschiki 4 ! Hast du dir einen guten Unterstand ausgehoben – raus mit dir. Hast du gutes Sauerkraut – schick es mir.« Unvermittelt fragte er den Leutnant: »Warum sind denn die zwei zurückgekommen und nicht zu den Eingeschlossenen vorgedrungen?«
    »Sie sind angeschossen worden, Genosse Regimentskommandeur.«
    »Verstehe.«
    »Ihnen geht’s gut«, sagte Podtschufarow, als sie das Haus verließen und durch die Gemüsegärten gingen, in denen zwischen gelbem Kartoffelkraut die Gräben und Bunker des zweiten Regiments ausgehoben waren.
    »Wer weiß, ob’s mir gutgeht«, sagte Berjoskin und sprang in einen Graben hinunter.
    »Wie im Krieg«, sagte er in einem Tonfall, in dem man sonst sagt: »Wie auf Kur.«
    »Die Erde ist am besten für den Krieg zu gebrauchen«, bestätigte Podtschufarow. »Sie hat sich dran gewöhnt.« Auf das Gespräch zurückkommend, das der Regimentskommandeur angefangen hatte, fügte er hinzu: »Nicht bloß den Koch, die da oben haben auch manchem schon die Frau weggenommen.«
    Aus dem Schützengraben kam Lärm. Gewehrschüsse krachten und kurze Salven aus Maschinenpistolen und Maschinengewehren.
    »Der Kompaniechef ist gefallen, der Politruk Soschkin hat das Kommando übernommen«, sagte Podtschufarow. »Dies ist sein Unterstand.«
    »Alles klar«, sagte Berjoskin und warf einen Blick durch die halbgeöffnete Tür in den Unterstand.
    Soschkin, ein Mann mit stark gerötetem Gesicht und buschigen schwarzen Brauen, holte sie bei den Maschinengewehren ein. Mit übertrieben lauter Stimme meldete er, dass die Kompanie auf die Deutschen feuere, mit dem Ziel, deren Konzentration zum Angriff auf Haus »sechs Strich eins« zu unterbinden.
    Berjoskin nahm ihm das Fernglas ab und betrachtete die kurzen Mündungsblitze aus den Gewehren und die Flammenzungen aus den Mündungen der Granatwerfer.
    »Dort, das zweite Fenster im zweiten Stock, mir scheint, da hat sich ein Scharfschütze postiert.«
    Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, blitzte in dem Fenster, auf das er gedeutet hatte, ein Funke auf. Die Kugel zwitscherte heran und schlug genau zwischen Berjoskins und Soschkins Köpfen in die Grabenwand ein.
    »Sie haben Glück«, sagte Podtschufarow.
    »Wer weiß, ob ich Glück habe«, antwortete Berjoskin.
    Sie gingen durch den Graben bis zu der »Erfindung« der hier ansässigen Kompanie: Ein Panzerabwehrgewehr war mit Spornen auf einem Wagenrad befestigt worden.
    »Unsere Kompanieflak«, sagte ein Sergeant mit staubigen Haarborsten und unstetem Blick.
    »Panzer in hundert Meter Entfernung, beim Häuschen mit dem grünen Dach!«, schrie Berjoskin mit der Stimme eines Ausbilders.
    Der Sergeant drehte schnell das Rad, und der lange Lauf des Panzerabwehrgewehrs senkte sich zur Erde.
    »Dyrkin hat einen Soldaten«, sagte Berjoskin, »der hat ein Panzerabwehrgewehr mit einem Scharfschützenvisier versehen und an einem Tag drei Maschinengewehre über den Haufen geschossen.«
    Der Sergeant zuckte die Achseln.
    »Dyrkin hat’s gut, der sitzt in den Fabrikhallen.«
    Sie gingen weiter den Graben entlang, und Berjoskin griff den Faden des Gesprächs, das sich zu Beginn des Rundgangs zwischen ihnen ergeben hatte, wieder

Weitere Kostenlose Bücher