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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Weg ab und meinte: »Gluschkow, lauf du voran.«
    »Wie käme ich dazu, die haben doch hier einen Scharfschützen«, sagte Gluschkow.
    Als Erster eine gefährliche Stelle zu überqueren galt als Privileg der Vorgesetzten – die Deutschen schafften es gewöhnlich nicht, das Feuer schon auf den ersten Läufer zu eröffnen.
    Berjoskin schaute sich nach den ersten deutschen Häusern um, zwinkerte Gluschkow zu und rannte los.
    Als er den Wall erreicht hatte, der die Sicht aus den deutschen Häusern verdecken sollte, hörte er hinter sich einen scharfen Einschlag, dann knallte es – der Deutsche hatte mit einer Sprengkugel geschossen.
    Berjoskin stand im Schutz des Walls und zündete sich eine Zigarette an. Gluschkow rannte mit langen, schnellen Schritten. Die Feuergarbe prasselte ihm zwischen die Füße, es war, als flöge ein Spatzenschwarm von der Erde auf. Gluschkow rannte zur Seite, stolperte, fiel, sprang wieder auf und lief auf Berjoskin zu.
    »Beinahe hätte er mich erwischt«, sagte er, als er verschnauft hatte. »Ich dachte, er würde sich aus Verdruss darüber, dass er Sie verpasst hat, eine Zigarette anzünden, aber der Schweinehund ist offenbar Nichtraucher.«
    Gluschkow befühlte den zerfetzten Schoß seiner wattierten Jacke und fluchte auf den Deutschen.
    Als sie den Bataillonsgefechtsstand erreicht hatten, fragte Berjoskin: »Angeschossen, Genosse Gluschkow?«
    »Die Absätze hat er mir abgeknabbert, mich völlig ausgezogen, der Schuft«, sagte Gluschkow.
    Der Bataillonsgefechtsstand befand sich im Keller des fabrikeigenen Ladens »Gastronom«; die feuchte Luft war schwer vom Geruch nach Sauerkraut und Äpfeln.
    Auf dem Tisch brannten zwei hohe Kerzenleuchter aus Geschosshülsen. Über der Tür war ein Plakat angeschlagen: »Verkäufer und Kunde, seid höflich zueinander!«
    In dem Keller waren die Stäbe von zwei Bataillonen untergebracht, der des Schützen- und der des Pionierbataillons. Beide Bataillonskommandeure, Podtschufarow und Mowschowitsch, saßen am Tisch und frühstückten. Beim Öffnen der Tür hörte Berjoskin die lebhafte Stimme Podtschufarows: »Verdünnten Sprit kann ich nicht ausstehen, da trinke ich lieber gar nichts.«
    Beide Bataillonskommandeure erhoben sich und standen stramm. Der Stabschef versteckte unter einem Stapel Handgranaten eine Viertelflasche Wodka, und der Koch verdeckte mit seinem Körper den Zander, über den Mowschowitsch vor einer Minute mit ihm gesprochen hatte. Podtschufarows Melder, der vor dem Koffergrammofon kauerte und gerade auf Anweisung seines Vorgesetzten die »Chinesische Serenade« auf den Plattenteller auflegen wollte, sprang so rasch auf, dass er nur die Platte wegreißen konnte, der Grammofonmotor aber weiter im Leerlauf brummte: Der Mann, geradeaus und offen blickend, wie es sich für einen schneidigen Soldaten gehört, fing in seinen Augenwinkeln einen bösen Blick von Podtschufarow auf, als das Koffergrammofon besonders emsig jaulte und krächzte.
    Beide Bataillonskommandeure und all die andern, die am Frühstück teilnahmen, kannten die Vorurteile ihrer Vorgesetzten: Die da oben dachten, Bataillonsleute müssten entweder einen Kampf führen, durch das Fernglas den Gegner anstarren oder, über die Karte gebeugt, angestrengt überlegen. Doch die Leute konnten eben nicht vierundzwanzig Stunden lang schießen und mit Über- und Untergeordneten telefonieren – man musste auch mal essen.
    Berjoskin warf einen schrägen Blick zu dem brummenden Grammofon hinüber und lachte.
    »Soso«, sagte er und fügte hinzu: »Setzt euch doch, Genossen, macht weiter.«
    Diese Worte bedeuteten vielleicht genau das Gegenteil und waren nicht wörtlich zu nehmen, daher nahm Podtschufarows Gesicht einen betrübten und reuevollen Ausdruck an, auf Mowschowitschs Gesicht aber, der das selbstständige Pionierbataillon befehligte und deshalb nicht unmittelbar dem Regimentskommandeur unterstellt war, drückte sich nur Betrübnis ohne Reue aus. Etwa in der gleichen Proportion unterschieden sich die Mienen ihrer Untergebenen.
    Berjoskin fuhr in besonders unangenehmem Ton fort: »Wo ist ihr fünf Kilo schwerer Zander, Genosse Mowschowitsch, über den schon alle in der Division Bescheid wissen?«
    Mowschowitsch sagte mit dem gleichen betrübten Ausdruck: »Koch, zeigen Sie bitte den Fisch!«
    Der Koch, der der Einzige war, der hier seinen Pflichten nachkam, sagte freimütig: »Der Genosse Hauptmann hat angeordnet, ihn zu füllen, auf jüdische Art; Pfeffer und Lorbeerblätter haben

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