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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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wir, aber Weißbrot ist nicht da, und Meerrettich wird auch nicht da sein …«
    »Ja, richtig«, sagte Berjoskin, »gefüllten Fisch habe ich in Bobrujsk bei einer gewissen Sara Aronowna gegessen, aber der hat mir, ehrlich gesagt, nicht besonders geschmeckt.«
    Und plötzlich begriffen die Leute im Keller, dass der Regimentskommandeur nicht im Traum daran dachte, sich zu ärgern.
    So, als wisse Berjoskin, dass Podtschufarow einen deutschen Nachtangriff abgeschlagen hatte, dass er gegen Morgen von Erdmassen verschüttet worden war und dass sein Melder, der die »Chinesische Serenade« auflegen wollte, ihn ausgegraben und geschrien hatte: »Seien Sie unbesorgt, Genosse Hauptmann, ich helf Ihnen raus.«
    So, als wisse er, dass Mowschowitsch mit seinen Pionieren über ein panzergefährdetes Gässchen gekrochen war, um dort die im Schachbrettmuster verlegten Panzerabwehrminen unter Erde und Ziegelbruch zu tarnen.
    Ihre Jugend freute sich über einen Morgen mehr, man konnte noch einmal den Blechnapf erheben und sagen: »Gesundheit, wohl bekomm’s!«, Kohl essen und ein Zigarettchen rauchen.
    Eigentlich war gar nichts geschehen – einen kurzen Augenblick lang hatten die Herren des Kellers vor dem Oberkommandierenden gestanden, dann hatten sie ihm angeboten, mit ihnen zu essen, und mit Befriedigung zugesehen, wie der Regimentskommandeur ihren Kohl verzehrte.
    Berjoskin verglich die Schlacht von Stalingrad oft mit dem Kriegsjahr davor. Er hatte schon einiges erlebt und erkannt, dass er diese Anspannung nur deshalb ertrug, weil in ihm selbst Gelassenheit und Ruhe herrschten. Die Rotarmisten konnten Suppe essen, Schuhe reparieren, Gespräche über ihre Ehefrauen, über gute und schlechte Vorgesetzte führen und Löffel an solchen Tagen, in solchen Stunden basteln, in denen man hätte glauben können, dass eigentlich nur mehr Zorn, Grauen oder totale Erschöpfung möglich wären. Er hatte gesehen, dass die, die diese Ruhe und Seelentiefe nicht in sich trugen, nicht lange durchhielten, mochten sie im Kampf auch noch so verwegen und tollkühn sein. Kleinmut und Feigheit waren in Berjoskins Augen ein vorübergehender Zustand, so etwas wie eine Erkältung, die man heilen konnte.
    Was Tapferkeit oder Feigheit war, konnte er nicht genau sagen. Einmal, zu Beginn des Krieges, hatte die militärische Führung Berjoskin wegen Kleinmut verdonnert – er hatte eigenmächtig das Regiment aus dem deutschen Feuer herausgeführt. Und noch kurz vor Stalingrad hatte Berjoskin dem Bataillonskommandeur befohlen, die Männer auf den rückwärtigen Hang der Anhöhe zu führen, damit die Schufte von deutschen Granatwerferschützen sie nicht unnötig unter Beschuss nehmen könnten. Der Divisionskommandeur hatte vorwurfsvoll gesagt:
    »Was soll denn das, Genosse Berjoskin? Man hat Sie mir als tapferen und besonnenen Mann geschildert.«
    Berjoskin hatte geseufzt und geschwiegen, man hatte ihn eben falsch eingeschätzt.
    Podtschufarow, ein Rotschopf mit strahlend blauen Augen, bezähmte nur mühsam seine Gewohnheit, plötzlich loszulachen und sich genauso plötzlich zu ärgern. Mowschowitsch, hager, langes sommersprossiges Gesicht und graue Strähnen im dunklen Haar, beantwortete nun mit heiserer Stimme Berjoskins Fragen. Er zog ein Notizbuch heraus und begann den Plan des von ihm in den panzergefährdeten Abschnitten neu verlegten Minenfeldes aufzuzeichnen.
    »Reißen Sie mir diese Skizze zur Erinnerung heraus«, sagte Berjoskin, beugte sich über den Tisch und meinte halblaut: »Der Divisionskommandeur hat mich angerufen. Nach Angaben der Heeresaufklärung ziehen die Deutschen aus dem Stadtbezirk Streitkräfte ab und konzentrieren sie uns gegenüber. Einen Haufen Panzer. Kapiert?«
    Eine Explosion erschütterte die Kellerwände. Berjoskin lauschte und lächelte.
    »Ruhig ist es hier bei euch. In meiner Schlucht hätten mich todsicher mindestens schon drei Leute aus dem Generalstab des Armeeoberkommandos aufgesucht, immerzu sind Kommissionen unterwegs.«
    Da erschütterte ein neuer Schlag das Gebäude, und von der Decke rieselte der Verputz.
    »Das stimmt, ruhig ist es, niemand stört einen hier«, sagte Podtschufarow.
    »Das ist es ja gerade, dass man ungestört ist«, sagte Berjoskin.
    Er sprach vertraulich, mit gedämpfter Stimme und vergaß dabei völlig, dass er ja Vorgesetzter war; gewohnt, Untergebener und nicht Vorgesetzter zu sein, dachte er einfach nicht mehr daran.
    »Wissen Sie, wie Vorgesetzte reden? Warum greifst du nicht an? Warum hast

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