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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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kämpfen. Ins Hauptgebäude zurückgekehrt, stieg er in den ersten Stock hinauf.
    Kowtschenko in schwarzem Jackett und besticktem ukrainischem Hemd folgte der Sekretärin, die ihm Strums Ankunft gemeldet hatte, aus seinem Büro ins Vorzimmer und sagte:
    »Bitte, Viktor Pawlowitsch, nur herein in meine bescheidene Hütte.«
    Die bescheidene Hütte war mit roten Sesseln und Sofas ausgestattet. Kowtschenko bot Strum einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich neben ihn. Lächelnd hörte er Strum an, und seine Zuvorkommenheit erinnerte Strum irgendwie an die Zuvorkommenheit Dubenkows. So hatte er wahrscheinlich auch gelächelt, als sich Gawronow über Strums Entdeckung verbreitete.
    »Was soll ich machen?«, jammerte Kowtschenko und hob in gespielter Hilflosigkeit die Arme. »Wir haben uns das alles nicht ausgedacht. Sie war im Bombenhagel? Das ist heutzutage kein Verdienst, Viktor Pawlowitsch. Jeder Sowjetmensch setzt sich den Bomben aus, wenn es ihm das Vaterland befiehlt.«
    Dann dachte Kowtschenko nach und sagte: »Es gibt natürlich eine Möglichkeit; es wird allerdings nicht einfach sein. Wir könnten die Loschakowa zum Präparator machen. Dann verliert sie ihreITR-Karte 12 nicht. Ja, das kann ich Ihnen zusagen.«
    »Nein, das wäre eine Beleidigung für sie«, sagte Strum.
    Kowtschenko fragte: »Ja, was wollen Sie denn eigentlich, Viktor Pawlowitsch, soll ich für Sie im Labor Strum die Sowjetgesetze außer Kraft setzen?«
    »Umgekehrt. Ich möchte, dass die Sowjetgesetze in meinem Labor gelten. Und nach sowjetischem Recht kann man der Loschakowa nicht kündigen.« Er fragte weiter: »Kassjan Terentjewitsch, wenn wir schon bei Gesetzen sind, warum haben Sie die Einstellung des begabten jungen Landesman in meinem Labor abgelehnt?«
    Kowtschenko schürzte die Lippen.
    »Sehen Sie, Viktor Pawlowitsch, es kann ja sein, dass er Ihren Anforderungen entspricht und gut arbeitet, doch es gibt noch andere Gesichtspunkte, die die Leiter des Instituts berücksichtigen müssen.«
    »Sehr gut«, sagte Strum und wiederholte noch einmal: »Sehr gut.« Dann fragte er: »Der Personalbogen, nicht wahr? Verwandte im Ausland?«
    Kowtschenko hob unbestimmt die Arme.
    »Kassjan Terentjewitsch, wenn wir dieses unerfreuliche Gespräch schon führen müssen«, sagte Strum, »dann sagen Sie mir doch bitte auch, warum Sie die Rückkehr meiner Mitarbeiterin Anna Naumowna Weißpapier aus Kasan blockieren? Sie ist schließlich Kandidat der Wissenschaften. Worin besteht denn hier der Widerspruch zwischen meinem Labor und dem Staat?«
    Kowtschenko sagte mit Leidensmiene: »Viktor Pawlowitsch, was fragen Sie mich denn da für Sachen? Ich bin Personalmann, verstehen Sie?«
    »Sehr gut, sehr gut«, sagte Strum wieder, der fühlte, dass er nun endgültig die Beherrschung verlieren würde.
    »Nun hören Sie mal gut zu, Verehrtester«, hob er an. »Auf dieser Basis kann ich nicht weiterarbeiten. Die Wissenschaft existiert nicht für Dubenkow und nicht für Sie. Auch ich bin hier nur für die Arbeit da und nicht für irgendwelche obskuren Interessen der Personalabteilung. Ich werde Alexej Alexejewitsch das schreiben; soll er doch Dubenkow zum Leiter des kernphysikalischen Labors machen.«
    Kowtschenko sagte: »Viktor Pawlowitsch, nun beruhigen Sie sich doch.«
    »Nein, ich werde so nicht weiterarbeiten.«
    »Viktor Pawlowitsch, Sie machen sich keine Vorstellung, wie die Leitung – und insbesondere ich – Ihre Arbeit schätzen.«
    »Das ist mir völlig egal, ob Sie mich schätzen oder nicht«, sagte Strum und sah in Kowtschenkos Gesicht keinen Ärger, sondern lächelnde Zufriedenheit.
    »Viktor Pawlowitsch«, sagte Kowtschenko, »wir werden in keinem Fall zulassen, dass Sie das Institut verlassen.« Er runzelte die Stirn und fügte hinzu: »Und keineswegs deshalb, weil Sie etwa unersetzlich wären. Glauben Sie wirklich, dass man Viktor Pawlowitsch Strum nicht ersetzen könnte?« Und noch sanfter schloss er: »Sollte es wirklich in Russland keinen Ersatz für Sie geben, wenn Sie Ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht ohne Landesman und Weißpapier nachgehen können?«
    Er schaute Strum an, und dieser fühlte, dass Kowtschenko nun endlich jene Worte aussprechen würde, die die ganze Zeit wie ein unsichtbarer Nebel zwischen ihnen gehangen, ihre Augen, Hände und Gehirne berührt hatten.
    Er senkte den Kopf und war nicht mehr der Professor und Doktor der Wissenschaften, der berühmte Gelehrte mit einer berühmten Entdeckung, der hochmütig, arrogant,

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