Leben und Schicksal
gegenüber geschwiegen. Schämen Sie sich, schämen Sie sich!«
Doch ungeachtet seiner Erregung gestand er sich auch wieder ein: »Du schweigst ja auch. Du hast ja deinem Freund Sokolow auch verschwiegen, welchen Verdacht Karimow gegen seinen Verwandten Madjarow geäußert hat. Hast einfach geschwiegen: weil es dir peinlich war? Aus Taktgefühl? Nein. Weil du Angst hattest, jüdische Verfolgungsangst.«
Offenbar hatte das Schicksal entschieden, dass dieser ganze Tag scheußlich für ihn werden sollte.
Anna Stepanowna kam mit verstörtem Gesicht in sein Büro, und Strum fragte besorgt: »Was ist denn los, liebe Anna Stepanowna?« Ob sie auch schon von seinen Unannehmlichkeiten gehört hatte?
»Viktor Pawlowitsch, wie ist das möglich?«, sagte sie. »Hinter meinem Rücken, womit habe ich das verdient?«
Man hatte sie während der Mittagspause gebeten, in die Personalabteilung zu kommen. Dort hatte man sie aufgefordert zu kündigen. Es liege eine Verordnung des Direktors vor, nach der alle Laboranten ohne Hochschulabschluss zu entlassen seien.
»Das ist doch Quatsch! Ich habe keinerlei Kenntnis davon«, sagte Strum. »Das bringe ich schon wieder in Ordnung, verlassen Sie sich darauf.«
Besonders kränkend für Anna Stepanowna war Dubenkows Bemerkung gewesen, die Verwaltung habe nichts gegen sie persönlich.
»Viktor Pawlowitsch, was kann man denn gegen mich haben? Verzeihen Sie mir, um Gottes willen, ich habe Sie bei der Arbeit gestört.«
Strum warf sich den Mantel über und ging über den Hof zu dem zweistöckigen Gebäude, in dem die Personalabteilung untergebracht war.
»Gut, gut«, dachte er, »gut, gut.« Mehr dachte er nicht. Doch es lag sehr viel in diesem »gut, gut«.
Dubenkow begrüßte ihn mit den Worten: »Gerade wollte ich Sie anrufen.«
»Wegen Anna Stepanowna?«
»Nein, warum? Hier bitte, aus bestimmten Gründen müssen die leitenden Mitarbeiter des Instituts diesen Fragebogen ausfüllen.«
Strum sah auf den mehrere Seiten umfassenden Fragebogen und sagte: »Oho! Das ist ja eine Wochenarbeit!«
»Ach wo, Viktor Pawlowitsch! Nur machen Sie bei negativen Antworten bitte keinen Strich, sondern schreiben Sie ›Nein‹.«
»Hören Sie, mein Guter«, sagte Strum, »die Kündigung unserer Cheflaborantin Anna Stepanowna Loschakowa muss unbedingt rückgängig gemacht werden.«
»Loschakowa? Viktor Pawlowitsch, wie kann ich eine Anordnung der Direktion rückgängig machen?«
»Das ist doch sicher ein Irrtum! Sie hat das Institut gerettet, hat es im Bombenhagel bewacht. Und jetzt soll sie aus formalen Gründen entlassen werden?«
»Bei uns wird niemand ohne formale Begründung entlassen«, sagte Dubenkow würdevoll.
»Anna Stepanowna ist nicht nur ein wunderbarer Mensch, sie ist auch einer der besten Laboranten, die wir haben.«
»Wenn sie wirklich so unersetzlich ist, dann wenden Sie sich doch bitte an Kassjan Terentjewitsch«, sagte Dubenkow. »Da können Sie auch noch gleich zwei andere Fragen bezüglich Ihres Labors klären.«
Er reichte Strum zwei zusammengeheftete Blätter: »Das hier ist wegen der Besetzung des Postens eines wissenschaftlichen Mitarbeiters.« Er schaute in das Papier und las langsam: »Landesman, Emili Pinkussowitsch.«
»Ja, das habe ich geschrieben«, sagte Strum, der das Blatt in Dubenkows Hand wiedererkannte.
»Und hier ist der Bescheid von Kassjan Terentjewitsch: ›Wegen Nichtentsprechung den Anforderungen …‹«
»Was heißt denn das?«, sagte Strum. »Nichtentsprechung! Ich weiß doch, dass er entspricht, woher weiß denn Kowtschenko, wer mir entspricht?«
»Das machen Sie am besten mit ihm selber aus«, sagte Dubenkow. Er warf einen Blick auf das zweite Blatt und sagte: »Und das ist die Erklärung unserer in Kasan verbliebenen Mitarbeiter und hier Ihr Gesuch um beschleunigte Reevakuierung dieser Mitarbeiter.«
»Ja, und weiter?«
»Kassjan Terentjewitsch schreibt: ›Nicht zweckmäßig, da sie an der Kasaner Universität produktiv arbeiten. Frage vertagen bis Ende des Studienjahres‹.«
Er sprach leise, sanft, als wolle er mit der Sanftheit seiner Stimme die für Strum unangenehme Nachricht mildern, doch in seinen Augen war keine Sanftheit, nur Neugierde und Bosheit.
»Danke, Genosse Dubenkow«, sagte Strum.
Strum ging wieder über den Hof und sagte wieder vor sich hin »gut, gut«. Er brauchte die Unterstützung der Institutsleitung nicht, brauchte nicht die Liebe der Freunde, die Seelengemeinschaft mit seiner Frau, er konnte auch allein
Weitere Kostenlose Bücher