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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Fragebogens. Am Vorabend hatte ihn Landesman angerufen, und er hatte ihm sagen müssen, dass seine Bewerbung abgelehnt worden sei. »Das hab ich mir gleich gedacht«, hatte Landesman mit bitterer, vorwurfsvoller Stimme gesagt. »Stimmt irgendetwas nicht mit Ihrem Personalbogen?«, hatte Strum ihn gefragt. Landesman hatte in den Hörer geschnaubt und geantwortet: »Was bei mir nicht stimmt, ist der Name.«
    Nadja hatte beim abendlichen Tee gesagt: »Weißt du, Papa, Maikas Vater sagt, dass sie im nächsten Jahr keinen einzigen Juden im Institut für Internationale Beziehungen einstellen.«
    »Na, und wennschon«, dachte Strum. »Wenn man Jude ist, dann ist man eben Jude, da beißt die Maus keinen Faden ab.«
    »6. Soziale Herkunft …« Das war der Stamm eines mächtigen Baumes, der tief in der Familie wurzelte und seine Äste weit über die Seiten des Fragebogens ausbreitete: Soziale Herkunft der Eltern, der Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits … Soziale Herkunft der Ehefrau und deren Eltern … War man geschieden, dann wurde auch nach der Abstammung der geschiedenen Frau gefragt und danach, was ihre Eltern vor der Revolution getan hatten.
    Die Große Revolution war eine soziale Revolution gewesen, eine Revolution der Armen. Strum hatte immer geglaubt, in der sechsten Frage komme das natürliche und berechtigte Misstrauen der Armen zum Ausdruck, erwachsen aus der jahrtausendelangen Herrschaft der Reichen.
    Er schrieb: »Kleinbürger«. Kleinbürger! Was war er schon für ein Kleinbürger. Er war sich gar nicht mehr so sicher, vielleicht hatte der Krieg diese Zweifel geweckt, ob wirklich so ein Abgrund zwischen der berechtigten sowjetischen Frage nach der sozialen Herkunft und der blutigen deutschen Frage nach der Rasse lag. Er musste an die abendlichen Gespräche in Kasan denken, an Madjarows Rede über Tschechows Einstellung zum Menschen.
    Er dachte: »Ich finde das soziale Kriterium moralisch und berechtigt. Aber die Deutschen finden zweifellos das Rassenkriterium moralisch. Mir ist klar, dass es entsetzlich ist, Juden zu töten, weil sie Juden sind. Sie sind doch Menschen, jeder von ihnen ist ein Mensch, ein guter, böser, begabter, dummer, schwachsinniger, fröhlicher, teilnahmsvoller oder auch ein geiziger Mensch. Doch Hitler sagt: Ganz egal, wichtig ist nur eins, dass er Jude ist. Dagegen lehnt sich natürlich alles in mir auf, doch bei uns herrscht ja das gleiche Prinzip – wichtig ist nur, ob einer adelig, ob er Kulak oder Kaufmann ist. Ob er gut, böse, talentiert, dumm oder fröhlich ist, das interessiert nicht. Und dabei geht es in unseren Fragebögen gar nicht um Kaufleute, Priester und Adlige, sondern um deren Kinder und Kindeskinder. Na und, die haben den Adel eben immer noch im Blut, wie das Judentum; sie sind eben immer noch Kaufleute und Priester dem Blute nach, so heißt es doch, oder? Und das ist eben der Unsinn. Sofja Perowskaja war eine Generalstochter, und nicht nur einfache Generalstochter, Gouverneurstochter war sie. Weg mit ihr! Und Kommissarow, dieser elende Polizeischerge, der den Zarenattentäter Karakosow ans Messer geliefert hat, würde heute auf den sechsten Punkt antworten: ›Kleinbürgertum‹. Man hätte ihn damit in die Universität aufgenommen, ihn in seinem Amt bestätigt. Stalin hat ja gesagt: ›Der Sohn ist für den Vater nicht haftbar.‹ Aber er hat auch gesagt: ›Ein Apfel fällt nicht weit vom Stamm.‹ Bitte, komme ich eben aus dem Kleinbürgertum.«
    »7. Sozialer Stand …« Angestellter? Angestellte – das waren Buchhalter, Schalterbeamte. Der Angestellte Strum hat die mathematische Begründung für den Mechanismus des Atomkernzerfalls geliefert, der Angestellte Markow will mit Hilfe einer neuen Versuchsanlage die theoretischen Schlüsse des Angestellten Strum bestätigen.
    »Stimmt schon«, dachte er, »ich bin Angestellter.«
    Er zuckte die Schultern, stand immer wieder auf, wanderte durchs Zimmer, schob etwas mit der Hand zur Seite, setzte sich an den Tisch und beantwortete die Fragen.
    »29. Wurden Sie bzw. Ihre nächsten Anverwandten jemals gerichtlich belangt, verhaftet, gerichtlichen oder administrativen Strafen unterworfen, wann, wo und wofür? Im Falle einer Straftilgung, seit wann?«
    Die gleichen Fragen, an Strums Frau gerichtet. Ein kalter Hauch streifte seine Brust. Hier ging es nicht um Diskussionen, hier wurde Ernst gemacht. In seinem Kopf schwirrten Namen. »Ich bin sicher, dass er unschuldig ist … Ein weltfremder Träumer … Sie ist

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