Leben und Schicksal
über die Artillerie berichtet. Tolja diente in einer Artillerieeinheit. Es kamen keine Briefe von Tolja.
Sie glaubte, dass nur ein einziger Mensch echtes Verständnis für ihr Leid aufbrachte, nämlich Marja Iwanowna, Sokolows Frau.
Ljudmila Nikolajewna legte keinen großen Wert auf Kontakte zu anderen Professorenfrauen; die Gespräche über die wissenschaftlichen Erfolge ihrer Männer, über Kleider und Hausangestellte gingen ihr auf die Nerven. Doch vielleicht, weil Marja Iwanownas sanftes Wesen ihrem eigenen Charakter entgegengesetzt war und weil es sie rührte, wie Marja Iwanowna sich um Tolja sorgte, hatte sie sich so eng mit ihr angefreundet.
Mit ihr sprach Ljudmila freier über Tolja als mit ihrem Mann und ihrer Mutter; und jedes Mal wurde ihr dabei ruhiger und leichter ums Herz. Obwohl Marja Iwanowna fast täglich zu den Strums kam, fragte sich Ljudmila Nikolajewna jedes Mal, wo ihre Freundin denn so lange blieb, und schaute aus dem Fenster, ob nicht die zarte Gestalt und das liebe Gesicht irgendwo zu sehen waren.
Von Tolja aber kamen keine Briefe.
16
Alexandra Wladimirowna, Ljudmila und Nadja saßen in der Küche. Von Zeit zu Zeit schürte Nadja mit zerknüllten Blättern aus einem Schulheft den Ofen nach; die verlöschende rote Glut flammte auf, im Ofen brannte kurze Zeit ein lebhaftes Feuer.
Alexandra Wladimirowna sagte mit einem schrägen Blick auf ihre Tochter: »Gestern habe ich eine Laborantin zu Hause besucht. Mein Gott, war das eine Enge, Armut und Hungersnot. Dagegen leben wir hier wie die Zaren. Die Nachbarn kamen dazu, und es entspann sich ein Gespräch darüber, was jeder vor dem Krieg am liebsten gegessen hat. Die eine sagte: Kalbfleisch, die andereRassolnik 9 . Und meine Laborantin sagte: ›Ich habe am allerliebsten Schnitzel gegessen.‹«
Ljudmila Nikolajewna schwieg, doch Nadja sagte: »Großmutter, Ihr habt schon über eine Million Bekanntschaften geschlossen.«
»Und du keine einzige.«
»Das ist auch sehr gut so«, sagte Ljudmila Nikolajewna. »Vitja geht seit neuestem oft zu Sokolow. Dort trifft sich alles mögliche Pack. Ich kann einfach nicht verstehen, wie Vitja und Sokolow stundenlang mit diesen Leuten quatschen können. Es müsste ihnen doch mal zu viel werden, ewig Tabak mit der Zunge zu zerkrümeln. Wie können sie nur so wenig Rücksicht auf Marja Iwanowna nehmen! Sie braucht Ruhe, aber wenn alle da sind, kann sie sich weder im Liegen noch im Sitzen ausruhen, und dann noch dieser Qualm.«
»Karimow, der Tatar, gefällt mir«, sagte Alexandra Wladimirowna.
»Ein widerlicher Typ.«
»Mama ist wie ich, ihr gefällt keiner«, sagte Nadja, »nur Marja Iwanowna.«
»Ihr seid ein komisches Volk«, sagte Alexandra Wladimirowna, »ihr habt so ein Moskauer Flair an euch – das habt ihr mitgebracht. Im Zug, im Klub, im Theater, überall fühlt ihr euch fremd, aber euresgleichen sind für euch die, mit denen ihr am gleichen Ort Datschen gebaut habt. Das ist mir auch an Genia aufgefallen … Es gibt ganz geringfügige Merkmale, nach denen sie bestimmt, welche Leute zu eurem Kreis gehören: Ach die, die ist eine Niete, mag keine Gedichte von Blok, und der, der ist ein Hinterwälder, hat keine Ahnung von Picasso … Ach, eine Kristallvase hat sie ihm geschenkt. Wie geschmacklos … Viktor ist Demokrat, Der pfeift auf diesen ganzen dekadenten Firlefanz.«
»Unsinn«, erwiderte Ljudmila, »was soll das Gerede über Datschen? Es gibt Spießer mit Datschen und Spießer ohne Datschen. Mit denen darf man sich einfach nicht einlassen, das geht einem eben gegen den Strich.«
Alexandra Wladimirowna hatte bemerkt, dass ihre Tochter ihr gegenüber immer häufiger gereizt reagierte.
Ljudmila Nikolajewna gab ihrem Mann Ratschläge, kritisierte an Nadja herum, rügte sie für einen Fehler, verzieh ihr Fehler, verwöhnte sie und versagte ihr Wünsche, und immer spürte sie dabei, dass die Mutter ihr Handeln kritisch beurteilte. Alexandra Wladimirowna äußerte ihre Meinung nicht, doch sie hatte eindeutig eine andere Einstellung. Es kam vor, dass Strum mit der Schwiegermutter Blicke wechselte und seine Augen dabei einen spöttisch verstehenden Ausdruck annahmen, so als wolle er sich, einen Streit vorbeugend, mit Alexandra Wladimirowna über die Eigentümlichkeiten von Ljudmilas Charakter verständigen. Es war auch völlig gleichgültig, ob sie sich verständigten oder nicht; in der Familie war einfach eine neue Kraft zu spüren, die allein durch ihr Vorhandensein die gewohnten Verhältnisse
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