Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
Vom Netzwerk:
Anziehungskraft. Darenski wollte ihm ständig zustimmen.
    Nowikow dagegen sah lächelnd zu ihm herüber, er kannte die seelische Anziehungskraft des Kommissars gut, er wusste, wie er die Menschen dazu brachte, ihm beizupflichten.
    Unerwartet offenherzig sagte Getmanow zu Darenski: »Ich verstehe ja, Sie gehören zu denen, die seinerzeit ungerecht behandelt worden sind. Aber hegen Sie keinen Groll auf die Partei der Bolschewiki, sie will ja nur das Wohl des Volkes.«
    Und Darenski, der immer die Ansicht vertrat, die politischen Funktionäre und Kommissare in der Armee stifteten nur Durcheinander, antwortete: »Glauben Sie im Ernst, ich verstünde das nicht?«
    »Stimmt schon«, sagte Getmanow. »Wir haben gehobelt, und dabei sind Späne gefallen, aber das Volk verzeiht uns. Es verzeiht! Denn wir sind gute Jungs, haben keinen bösen Charakter. Hab ich recht?«
    Nowikow, der die anderen freundlich ansah, sagte: »Haben wir nicht einen guten Kommissar im Korps?«
    »Ja«, bestätigte Darenski.
    »Eben«, sagte Getmanow, und alle drei lachten.
    Als hätte er den Wunsch Nowikows und Darenskis erraten, blickte er auf die Uhr.
    »Ich gehe mich ausruhen, man ist ja Tag und Nacht unterwegs, wenigstens heute werde ich bis zum Morgen ausschlafen. Zehn Tage bin ich nicht aus den Stiefeln gekommen, wie ein Zigeuner. Schläft der Stabschef etwa schon?«
    »Was heißt hier schlafen«, sagte Nowikow. »Er ist sofort zu den neuen Stellungen gefahren, morgen früh ist doch Stellungswechsel.«
    Als Nowikow und Darenski allein waren, sagte Darenski: »Pjotr Pawlowitsch, in meinem ganzen bisherigen Leben habe ich einige Dinge nicht völlig durchdacht. Vor kurzem war ich besonders niedergeschlagen, im kaspischen Sand schien mir, alles gehe zu Ende. Und was ist passiert? Wir haben eine derartige Streitmacht mobilisieren können! Der kann sich nichts in den Weg stellen.«
    Nowikow antwortete: »Und ich begreife immer deutlicher, was der russische Mensch ist! Tolle Kerle sind wir, tapfere Krieger!«
    »Eine Streitmacht!«, sagte Darenski. »Und das Wichtigste: Die Russen werden unter den Bolschewiki die Menschheit anführen, alle anderen sind bloß Hubbel und Flecken.«
    »Wenn Sie möchten«, schlug Nowikow vor, »könnte ich wieder die Frage Ihrer Versetzung vorbringen. Würden Sie als stellvertretender Stabschef zu mir ins Korps kommen? Wollen wir eine Weile zusammen kämpfen?«
    »Meinetwegen, danke. Und wessen Stellvertreter wäre ich?«
    »Der von General Neudobnow. Alles hätte seine Ordnung: Ein Oberstleutnant vertritt einen General.«
    »Neudobnow? War der vor dem Krieg im Ausland? In Italien?«
    »Richtig. Der ist es. Kein Suworow, aber es lässt sich mit ihm arbeiten.«
    Darenski schwieg. Nowikow schaute ihn an.
    »Na, kommen wir ins Geschäft?«, fragte Nowikow.
    Darenski drückte mit einem Finger die Lippe hoch und zog die Wange ein wenig zur Seite. »Sehen Sie die Kronen?«, fragte er. »Dieser Neudobnow hat mir während eines Verhörs 1937 zwei Zähne ausgeschlagen.«
    Sie wechselten einen Blick, schwiegen, wechselten wieder einen Blick. Dann sagte Darenski: »Ein gescheiter Mann ist er trotzdem.«
    »Na klar, ist doch kein Kalmücke, sondern ein Russe.« Nowikow lächelte und rief plötzlich aus: »Darauf wollen wir trinken, aber richtig, auf russische Art.«
    Darenski trank zum ersten Mal im Leben so viel, aber wenn die beiden leeren Wodkaflaschen nicht auf dem Tisch gestanden hätten, wäre niemandem aufgefallen, dass zwei Männer auf russische Art getrunken hatten. Man konnte es höchstens daran erkennen, dass sie sich jetzt duzten.
    Nowikow füllte zum wiederholten Mal die Gläser und sagte: »Los, nicht kneifen!«
    Der Nichttrinker Darenski hielt auch jetzt mit.
    Sie sprachen vom Rückzug, von den ersten Tagen des Krieges. Sie erinnerten sich an Blücher und Tuchatschewski, sprachen über Schukow. Darenski erzählte, was der Untersuchungsrichter bei den Verhören von ihm gewollt hatte.
    Nowikow erzählte, wie er vor der Offensive den Vormarsch der Panzer für einige Minuten verzögert hatte. Aber er erwähnte nicht, dass er sich in der Einschätzung der Brigadekommandeure geirrt hatte. Die beiden sprachen auch über die Deutschen, und Nowikow sagte, er habe sich nach dem Sommer 1941 für völlig verhärtet gehalten, aber beim Anblick der ersten Gefangenen habe er befohlen, sie besser zu ernähren und Soldaten, die verwundet waren oder Erfrierungen hatten, auf Lastwagen in die Etappe zu bringen.
    Darenski sagte: »Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher