Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
Vom Netzwerk:
geröteten Gesichter der Begleitsoldaten.
    Beim Anblick der zerstörten deutschen Panzer und Lastwagen inmitten der verschneiten Steppe, der steifgefrorenen Leichen und der Männer, die unter Bewachung ostwärts trotteten, beschlich ihn ein schwer zu definierendes Gefühl.
    Das war die Vergeltung.
    Er erinnerte sich an die Erzählungen darüber, wie die Deutschen über die Armut der russischen Bauernhäuser gespottet hatten, wie sie mit angewidertem Staunen die Kinderwiegen, die Öfen, das irdene Geschirr, die Bilder an den Wänden, die hölzernen Wasserfässer, die bunt angemalten Hähne aus Ton betrachtet hatten, diese schöne, trauliche Welt, aus der die Jungs stammten, die vor den deutschen Panzern davongelaufen waren.
    Der Fahrer sagte: »Sehen Sie mal, Genosse Oberstleutnant!«
    Vier Deutsche trugen auf einem Mantel einen Kameraden. An ihren Gesichtern, an ihren angespannten Hälsen war zu sehen, dass sie selbst bald umfallen würden. Sie taumelten bereits. Die Fetzen, mit denen sie umwickelt waren, verhedderten sich zwischen ihren Beinen, der trockene Schnee peitschte ihnen in die irren Augen, ihre erfrorenen Finger krallten sich in die Säume des Mantels.
    »Die Fritzen haben ausgespielt«, sagte der Fahrer.
    »Wir haben sie nicht gerufen«, sagte Darenski finster.
    Dann übermannte ihn plötzlich ein wildes Glücksgefühl: Durch den Schneedunst über der unberührten Steppe rollten sowjetische Panzer nach Westen – T-34er, böse, schnell, muskulös. In den Luken standen, bis zur Hüfte sichtbar, die Panzerkommandanten in schwarzen Helmen und schwarzen Pelzjacken. Sie jagten über den großen Ozean der Steppe, durch den Schneedunst, ließen trüben Schneeschaum hinter sich – Darenski stockte vor Stolz und Glück der Atem …
    Das stahlgepanzerte Russland, dräuend, finster, marschierte nach Westen.
    Bei der Einfahrt in ein Dorf hatte sich ein Stau gebildet. Darenski stieg aus dem Auto, ging an den in zwei Reihen stehenden Lastwagen und den mit Planen zugedeckten Raketengeschützen entlang … Über den Weg, der zur Landstraße führte, wurde eine Gruppe Kriegsgefangener getrieben. Ein Oberst war aus einem Personenwagen ausgestiegen und beobachtete sie, er trug eine spitze Pelzmütze aus silbergrauem Persianer, wie man sie nur bekommt, wenn man eine Armee befehligt oder mit einem Frontintendanten befreundet ist. Die Wachposten schrien auf die Gefangenen ein und schwangen ihre Maschinenpistolen: »Los, los, schneller!«
    Eine unsichtbare Mauer trennte die Gefangenen von den Lastwagenfahrern und den Rotarmisten, die Kälte, die hier noch grimmiger als in der Steppe war, verhinderte, dass sich die Augen trafen.
    »Sieh mal, der da hat einen Schwanz«, hörte man eine lachende Stimme.
    Über den Weg kroch ein deutscher Soldat auf allen vieren. Er schleifte ein Stück Steppdecke hinter sich her, aus der Watteflocken herausquollen. Der Soldat kroch eifrig, setzte Arme und Beine über Kreuz voreinander wie ein Hund und hielt den Kopf gesenkt, als erschnüffle er eine Spur. Er kroch geradewegs auf den Obersten zu, und der neben ihm stehende Fahrer sagte: »Genosse Oberst, der beißt gleich.«
    Der Oberst machte einen Schritt zur Seite, und als der Deutsche auf seiner Höhe war, trat er ihn mit dem Stiefel. Es war kein kräftiger Tritt, aber er genügte, um die Spatzenkräfte des Gefangenen ganz auszulöschen. Seine Arme und Beine glitten auseinander. Er blickte den, der ihn getreten hatte, von unten herauf an: Die Augen des Deutschen drückten wie die eines sterbenden Schafs weder Vorwurf noch Leiden aus, sondern nur Demut.
    »Das Stück Scheiße von Eroberer wird zudringlich«, sagte der Oberst und wischte sich die Stiefelsohle am Schnee ab.
    Ein kurzes Lachen ging durch die Reihen der Zuschauer.
    Darenski empfand einen starken Schwindel und spürte, wie nicht er selbst, sondern ein anderer, den er kannte und auch nicht kannte, einer, der niemals schwankte, seine Handlungen leitete: »Russen schlagen keinen, der am Boden liegt, Genosse Oberst«, sagte er.
    »Bin ich für Sie vielleicht kein Russe?«, fragte der Oberst.
    »Sie sind ein Schuft«, sagte Darenski, und als er sah, wie der Oberst auf ihn zutrat, schrie er, um dessen Zornesausbruch und Drohungen zuvorzukommen: »Mein Name ist Darenski! Oberstleutnant Darenski, Inspekteur der Operativabteilung des Stabes der Stalingrader Front. Was ich zu Ihnen gesagt habe, bin ich bereit, vor dem Oberbefehlshaber der Front oder vor dem Gericht des Militärtribunals zu

Weitere Kostenlose Bücher