Leben und Schicksal
mit deinem Kommissar auf die Kalmücken geschimpft. Stimmt’s? Schade, dass dein Neudobnow nicht da ist, mit dem hätte ich mich gern mal unterhalten, und wie!«
»Und wie viele Russen aus Kursk oder Orël sind zu den Deutschen übergelaufen?«, fragte Nowikow. »General Wlassow ist auch kein Kalmücke. Und mein Bassangow ist ein guter Soldat. Aber Neudobnow, der ist ein Tschekist – der Kommissar hat mir von ihm erzählt. Der ist kein Soldat. Wir Russen werden siegen, ich komme nach Berlin, ich weiß, dass die Deutschen uns nicht mehr aufhalten können.«
Darenski sagte: »Neudobnow, Jeschow – das ist eine Sache für sich, aber jetzt gibt es nur ein Russland – das sowjetische Russland. Und ich weiß, auch wenn man mir alle Zähne ausschlagen würde, meine Liebe zu Russland könnte dadurch nicht erschüttert werden. Ich werde es bis zum letzten Atemzug lieben. Aber unter die Stellvertreter dieser Hure werde ich nicht gehen, ›Sie machen wohl Witze, Genossen‹?«
Nowikow schenkte Wodka nach und sagte: »Los, nicht kneifen!« Dann sagte er: »Ich weiß, dass noch so manches auf uns zukommt. Auch ich werde noch Federn lassen.«
Plötzlich wechselte er das Thema: »Einmal ist bei uns etwas Furchtbares passiert. Einem Panzersoldaten wurde der Kopf abgerissen, er war tot, drückte aber immer noch auf das Gaspedal, und der Panzer fuhr weiter. Immer vorwärts, vorwärts!«
Darenski sagte: »Wir haben auf die Kalmücken geschimpft, aber der alte Kalmücke geht mir nicht aus dem Kopf. Wie alt ist denn Neudobnow? Vielleicht sollten wir zu euren neuen Stellungen fahren und ihn besuchen?«
Nowikow sprach langsam, mit schwerer Zunge: »Ich habe großes Glück. Größer könnte es nicht sein.«
Er zog ein Foto aus der Tasche und reichte es Darenski. Der betrachtete es lange schweigend und sagte schließlich: »Da gibt’s nichts – eine Schönheit!«
»Eine Schönheit?«, wiederholte Nowikow. »Schönheit – das reicht nicht, verstehst du? Der Schönheit wegen liebt man nicht so, wie ich sie liebe.«
In der Tür erschien Werschkow und schaute den Korpskommandeur fragend an.
»Hau ab«, sagte Nowikow langsam.
»Lass ihn doch, er will nur wissen, ob wir was brauchen«, sagte Darenski.
»Schon gut, schon gut, ich werde noch unverschämt, ein Flegel. Man braucht mich nicht zu belehren. He, du bist Oberstleutnant und redest mich mit ›Du‹ an? Lassen die Vorschriften das etwa zu?«
»Ach, so ist das also!«, sagte Darenski.
»Hör auf, verstehst du denn keinen Spaß?«, fragte Nowikow und dachte: »Wie gut, dass Genia mich nicht so betrunken sieht.«
»Dumme Späße verstehe ich nicht«, antwortete Darenski.
Sie kabbelten sich noch lange und einigten sich schließlich auf Darenskis Vorschlag, zu den neuen Stellungen zu fahren und Neudobnow mit Ladestöcken durchzuprügeln.
Sie fuhren natürlich nirgendwohin, sondern tranken weiter.
31
Alexandra Wladimirowna erhielt an einem Tag drei Briefe – zwei von ihren Töchtern und einen von ihrer Enkelin Vera.
Ohne die Briefe geöffnet zu haben, erkannte sie an der Schrift, von wem sie stammten. Alexandra Wladimirowna wusste auch, dass die Briefe keine erfreulichen Nachrichten enthalten würden. Ihre langjährige Erfahrung lehrte sie, dass man seiner Mutter nicht schreibt, um eine Freude mit ihr zu teilen.
Alle drei baten sie, zu ihnen zu kommen – Ljudmila nach Moskau, Genia nach Kuibyschew, Vera nach Leninsk. Und diese Einladungen bestätigten Alexandra Wladimirowna, dass es den Töchtern und der Enkelin schlechtging.
Vera schrieb über ihren Vater, dass ihn die Unannehmlichkeiten in der Partei und im Dienst vollkommen erschöpft hätten. Einige Tage zuvor sei er aus Kuibyschew, wohin ihn das Volkskommissariat geladen habe, nach Leninsk zurückgekehrt. Sie schrieb, dass diese Reise den Vater mehr mitgenommen habe als die Arbeit im »Stalgres« während der Kämpfe. Seine Angelegenheit sei in Kuibyschew nicht entschieden worden, man habe ihn zurückgeschickt, damit er an dem Wiederaufbau des Kraftwerks teilnehme. Gleichzeitig habe man ihm mitgeteilt, dass es ungewiss sei, ob man ihn auch weiter im Volkskommissariat für Kraftwerke beschäftigen werde. Vera bereitete sich darauf vor, zusammen mit dem Vater aus Leninsk nach Stalingrad zu ziehen. Die Deutschen schossen nicht mehr. Der Stadtkern sei aber noch nicht befreit. Leute, die die Stadt besucht hatten, erzählten, dass von dem Haus, in dem Alexandra Wladimirowna gewohnt hatte, nur die Außenmauern und das
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