Leben und Schicksal
wiederholen.«
Der Oberst sagte hasserfüllt zu ihm: »Schon gut, Oberstleutnant Darenski, das werden Sie noch bezahlen.« Und ging fort.
Einige Gefangene schleppten den am Boden Liegenden weg, und es war eigenartig – wohin Darenski sich auch wandte, seine Blicke trafen auf die Blicke der zu einem Haufen zusammengedrängten Gefangenen, es zog sie förmlich zu ihm hin.
Er ging langsam zu seinem Auto und hörte, wie eine belustigte Stimme sagte: »Die Deutschen haben einen Beschützer gefunden.«
Kurz darauf war Darenski wieder unterwegs, und von Neuem zogen ihm Scharen von Deutschen in grauen und von Rumänen in grünen Uniformen entgegen und behinderten den Verkehr.
Der Fahrer sah aus dem Augenwinkel, wie Darenskis Finger zitterten, als er sich eine Zigarette ansteckte, und sagte: »Mit denen habe ich kein Mitleid. Ich könnte jeden erschießen.«
»Schon gut, schon gut«, sagte Darenski. »Du hättest 1941 schießen sollen, aber da bist du vor ihnen weggerannt, ohne dich umzusehen, wie ich auch.«
Die ganze Fahrt über schwieg er.
Aber der Zwischenfall mit den Gefangenen hatte sein Herz nicht für das Gute geöffnet. Es hatte gleichsam alles, was an Güte in ihm vorhanden war, verausgabt.
Was für ein Abgrund lag zwischen der Kalmückensteppe, durch die er nach Jaschkul gefahren war, und seinem Weg heute.
War er es gewesen, der damals im Sandnebel stand – unter dem riesigen Mond – und auf die fliehenden Rotarmisten und die schlenkernden Hälse der Kamele blickte? War er es gewesen, der alle diese schwachen und armen Menschen, die ihm an diesem äußersten Rand der russischen Erde ans Herz gewachsen waren, liebevoll darin vereint hatte?
30
Der Stab des Panzerkorps lag am Rande des Dorfes. Darenski kam zu dem Bauernhaus, in dem sich der Stab befand. Es wurde schon dunkel. Offenbar war der Stab erst ganz kurz zuvor eingetroffen – hier und dort luden Soldaten von Lastwagen Koffer und Matratzen ab, ein Nachrichtentrupp zog eine Leitung.
Ein MP-Schütze, der auf Posten stand, trat unwillig in den Vorbau und rief nach dem Adjutanten. Der Adjutant kam unwillig heraus, sah, wie alle Adjutanten, dem Neuankömmling nicht ins Gesicht, sondern auf die Schulterstücke, und sagte: »Genosse Oberstleutnant, der Korpskommandant ist eben erst von der Brigade zurückgekommen, er ruht sich aus. Gehen Sie so lange zur Versorgungsabteilung.«
»Melden Sie dem Korpskommandanten Oberstleutnant Darenski. Verstanden?«, sagte der Neuankömmling hochmütig.
Der Adjutant ging seufzend ins Haus.
Eine Minute später kam er wieder heraus und rief: »Bitte, Genosse Oberstleutnant!«
Darenski stieg die Treppenstufen hinauf, Nowikow kam ihm entgegen. Sie betrachteten sich gegenseitig und lachten vor Freude.
»So treffen wir uns wieder«, sagte Nowikow.
Es war eine gute Begegnung.
Zwei kluge Köpfe beugten sich wie früher über die Karte.
»Ich marschiere mit derselben Geschwindigkeit vorwärts, mit der wir seinerzeit getürmt sind«, sagte Nowikow, »aber auf diesem Abschnitt habe ich das damalige Tempo übertroffen.«
»Das macht der Winter«, sagte Darenski. »Was wird uns der Sommer bringen?«
»Ich habe keine Zweifel.«
»Ich auch nicht.«
Es war für Nowikow ein Vergnügen, Darenski die Karte zu zeigen. Der hatte einen lebhaften Verstand und Interesse für die Einzelheiten, die sonst nur Nowikow zu bemerken schien, stellte die gleichen bewegenden Fragen …
Mit gedämpfter Stimme, als beichte er ihm etwas Privates, Intimes, sagte Nowikow: »Die Aufklärung der Angriffszone der Panzer, der aufeinander abgestimmte Einsatz aller Zielerkennungsmittel, die Skizze der Orientierungspunkte und das Zusammenwirken als oberstes Gebot – alles ist so, wie es sein muss. Aber in der Angriffszone der Panzer gehorchen die Kampfhandlungen aller Waffengattungen nur einem Gott – dem Panzer, dem T-34, unserem Schlaukopf!«
Darenski kannte nicht nur die Entwicklungen an der südlichen Flanke der Stalingrader Front. Von ihm erfuhr Nowikow auch Einzelheiten von der Operation im Kaukasus, den Inhalt des abgehörten Funkverkehrs zwischen Hitler und Paulus, er erfuhr Details über die Bewegung der Gruppe des Artilleriegenerals Fretter-Pico.
»Da liegt schon die Ukraine, man kann sie vom Fenster aus sehen«, sagte Nowikow.
Er zeigte auf die Karte: »Es sieht aus, als sei ich näher dran als die anderen. Nur das Korps von Rodin rückt nach.«
Dann schob er die Karte von sich fort und sagte: »Na gut, genug von Strategie und
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