Leben und Schicksal
Badjin hatten das jetzt begriffen. Damit Markow seine Stärke im Experiment und Kotschkurow seine Begabung in der Praxis zeigen konnten, brauchte man chaldäische Theoretiker. Das hatten nach Stalins Anruf plötzlich alle begriffen. Wie sollte er Dmitri Petrowitsch erklären, dass dieser Anruf ihm die Freiheit in der Arbeit gebracht hatte? Aber warum war er so unnachsichtig mit Ljudmila Nikolajewnas Fehlern geworden? Warum ging er so wohlwollend mit Alexej Alexejewitsch um?
Auch Markow war ihm sehr sympathisch geworden. Die Privatangelegenheiten der Vorgesetzten, die geheimen und halb geheimen Umstände, die harmlosen Tricks und gar nicht so lustigen Intrigen, die gekränkte Eitelkeit, wenn man nicht zur Teilnahme an einem Präsidium eingeladen wurde, der Ehrgeiz, in bestimmte Listen aufgenommen zu werden, und die Beleidigung, wenn man die fatalen Worte zu hören bekam: »Sie stehen nicht auf der Liste« – all das war für ihn interessant geworden und beschäftigte ihn wirklich.
Er würde jetzt lieber einen freien Abend plaudernd mit Markow verbringen, als mit Madjarow in Kasan zu diskutieren. Markow registrierte erstaunlich genau alles Lächerliche an den Menschen, spottete gutmütig und giftig zugleich über ihre Schwächen. Er hatte einen vortrefflichen Intellekt und war ein erstklassiger Wissenschaftler, wahrscheinlich der begabteste Experimentalphysiker im ganzen Land.
Strum hatte schon den Mantel angezogen, als Ljudmila Nikolajewna sagte: »Marja Iwanowna hat gestern angerufen.«
Er fragte rasch: »Und?«
Wahrscheinlich hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert.
»Was hast du?«, fragte Ljudmila Nikolajewna.
»Ich? Nichts, überhaupt nichts«, sagte er und trat aus dem Flur wieder ins Zimmer.
»Ich habe sie nicht ganz verstanden, eine unangenehme Geschichte. Kowtschenko hat sie wohl angerufen. Sie macht sich wie immer Sorgen um dich, hat Angst, dass du dir selbst wieder schaden könntest.«
»Womit denn?«, fragte er ungeduldig. »Ich verstehe nicht!«
»Ich sagte doch, dass ich es auch nicht verstehe. Sie konnte es wahrscheinlich am Telefon nicht so genau erklären.«
»Wiederhol die Sache noch mal«, sagte er, knöpfte den Mantel auf und setzte sich auf einen Stuhl neben der Tür. Ljudmila schaute ihn an und schüttelte den Kopf. Er glaubte in ihren Augen Vorwurf und Trauer zu sehen.
Sie bestätigte seine Vermutung und sagte: »Hör mal, Vitja, um Tschepyschin anzurufen, hast du keine Zeit, aber von Mascha zu hören hast du immer Zeit … Du bist sogar zurückgegangen, obwohl du schon zu spät dran bist.«
Er lächelte schief, schaute sie von unten herauf an und sagte: »Ja, ich bin zu spät dran.«
Er trat auf seine Frau zu und führte ihre Hand an seine Lippen. Sie streichelte seinen Nacken, zerzauste sein Haar.
»Siehst du, wie wichtig und interessant dir Mascha geworden ist«, sagte Ljudmila und fügte mit einem kläglichen Lächeln hinzu: »Mascha, die Balzac nicht von Flaubert unterscheiden kann.«
Strum sah, dass ihre Augen feucht geworden waren, ihre Lippen schienen zu zittern. Er machte eine hilflose Geste und blickte sich in der Tür um.
Der Gesichtsausdruck seiner Frau verblüffte ihn. Er stieg die Treppe hinunter und dachte, dass dieser Gesichtsausdruck – hilflos, rührend, gequält, voller Scham für ihn und sich – nie, bis zum Ende seiner Tage nicht aus seinem Gedächtnis verschwinden würde, wenn er sich von Ljudmila trennen und sie nie wiedersehen sollte. Er begriff, dass in diesen Minuten etwas sehr Wichtiges geschehen war: Seine Frau hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie um seine Liebe zu Marja Iwanowna wusste, und er hatte es bestätigt …
Er wusste nur eines: Sah er Mascha, war er glücklich; dachte er aber, dass er sie nie mehr wiedersehen werde, verschlug es ihm den Atem.
Als sich Strums Wagen dem Institut näherte, holte ihn die SIS-Limousine Schischakows ein. Beide Wagen hielten fast gleichzeitig vor dem Eingang. Sie gingen nebeneinander über den Flur, so wie kurz zuvor ihre Autos nebeneinander gefahren waren. Alexej Alexejewitsch nahm Strum am Arm: »Sie fliegen also?«
Strum antwortete: »Sieht so aus.«
»Bald werden wir Sie nicht mehr sehen. Sie werden selbst ein Herrscher sein«, sagte Schischakow im Spaß.
Strum dachte plötzlich: »Was würde er wohl sagen, wenn ich ihn fragte, ob er sich schon mal in die Frau eines anderen verliebt habe?«
»Viktor Pawlowitsch«, sagte Schischakow, »hätten Sie Zeit, so gegen zwei Uhr bei mir
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