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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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wurden aber nicht von ihm aufgenommen, blieben wie Sand auf einem Apfel haften.
    Er las: »Indem Sie die abscheulichen Ausgeburten des Menschengeschlechts, Pletnew und Lewin, die das hohe Ansehen des Ärztestandes beschmutzt haben, in Schutz nehmen, gießen Sie Wasser auf die Mühlen der menschenverachtenden Ideologie des Faschismus.«
    Weiter: »Das heldenmütige sowjetische Volk führt Mann gegen Mann den Kampf gegen den deutschen Faschismus, der die mittelalterlichen Hexenprozesse und Judenpogrome, die Scheiterhaufen der Inquisition, Kerker und Folter Wiederaufleben ließ.«
    Mein Gott, wie sollte man da nicht verrückt werden!
    Und weiter: »Das Blut, das unsere Söhne bei Stalingrad vergossen haben, hat die Wende im Krieg gegen den Faschismus herbeigeführt, und Sie, die Sie die Abtrünnigen aus der Fünften Kolonne in Schutz nehmen, ohne es selbst bewusst zu wollen …«
    Ja, ja, ja. »Bei uns wird den Männern der Wissenschaft wie nirgendwo sonst auf der Welt die Liebe des Volkes und die Sorge des Staates entgegengebracht.«
    »Viktor Pawlowitsch, wir stören Sie doch nicht durch unser Gespräch?«
    »Was? Nein, nein«, sagte Strum und dachte: »Da gibt es doch glückliche Menschen, die sich mit einem Späßchen aus der Affäre ziehen können, plötzlich auf ihrer Datscha unerreichbar sind oder krank werden …«
    Kowtschenko sagte: »Mir wurde berichtet, dass Jossif Wissarionowitsch von diesem Brief weiß und die Initiative unserer Wissenschaftler gutgeheißen hat …«
    »Deswegen auch die Unterschrift von Viktor Pawlowitsch«, sagte Badjin.
    Schwermut, Abscheu, die Vorahnung seiner Unterwerfung überwältigten ihn. Er spürte den liebevollen Atem des riesigen Staates, und er hatte nicht die Kraft, sich in die eisige Finsternis zu stürzen … Er besaß diese Kraft heute einfach nicht. Was ihn fesselte, war nicht die Angst, sondern ein ganz anderes, quälendes, unterwürfiges Gefühl.
    Was für ein sonderbares Wesen der Mensch doch ist! Er findet in sich die Kraft, sich vom Leben loszusagen, und plötzlich fällt es ihm schwer, auf Bonbons und Kuchen zu verzichten.
    Versuch doch, diese allmächtige Hand zurückzuweisen, die dir den Kopf streichelt, dir auf die Schulter klopft.
    Unsinn, wozu sollte er sich selbst verleumden? Was hatte das hier mit Bonbons und Kuchen zu tun? Ihm waren die Annehmlichkeiten des Lebens, die materiellen Segnungen schon immer gleichgültig gewesen. Seine Gedanken, seine Arbeit – das Teuerste in seinem Leben – wurden gebraucht, waren wertvoll für den Kampf gegen den Faschismus. Das war doch das wahre Glück!
    Was geht mich das Ganze eigentlich an? Sie haben doch während der Untersuchung ein Geständnis abgelegt, und auch vor Gericht. Darf man an ihre Unschuld glauben, nachdem sie selbst den Mord an dem großen Schriftsteller gestanden haben?
    Die Unterschrift verweigern? Das hieße doch, mit den Mördern Gorkis zu sympathisieren! Nein, unmöglich! Die Echtheit der Geständnisse anzweifeln? Das hieße, sie wurden gezwungen. Aber einen ehrlichen, guten, intelligenten Menschen zwingen, dass er sich als gedungenen Mörder bekennt, der den Pranger und die Todesstrafe verdient hat, das kann man nur mit der Folter. Aber es wäre Wahnsinn, auch nur einen Schatten solcher Verdächtigungen zu äußern.
    Doch diesen infamen Brief zu unterschreiben war zum Speien. In seinem Kopf tauchten Worte und Antworten auf: »Genossen, ich bin krank, eine Verengung der Herzgefäße …«
    »Quatsch, Flucht in die Krankheit, Ihre Gesichtsfarbe sieht ganz gesund aus …«
    »Genossen, wozu brauchen Sie meine Unterschrift, ich bin doch nur einem kleinen Kreis von Fachleuten bekannt, mich kennt kaum jemand außerhalb des Landes …«
    »Unsinn!« (Angenehm zu hören, dass es Unsinn ist.) »Man kennt Sie, und wie! Undenkbar, den Brief ohne Ihre Unterschrift dem Genossen Stalin zu zeigen. Er könnte doch fragen: ›Wo ist denn die Unterschrift von Strum?‹«
    »Genossen, ich sage Ihnen ganz offen, einige Formulierungen erscheinen mir unglücklich, sie würden einen Schatten auf unseren ganzen Wissenschaftlerstand werfen …«
    »Aber bitte, Viktor Pawlowitsch, bringen Sie Ihre Vorschläge ein, wir werden gern die Formulierungen abändern, die Ihnen unglücklich erscheinen …«
    »Genossen, verstehen Sie mich richtig, Sie schreiben: der Schriftsteller Babel, ein Volksfeind, der Schriftsteller Pilnjak, ein Volksfeind, das Akademiemitglied Wawilow, ein Volksfeind, der Schauspieler Meyerhold, ein Volksfeind

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