Leben und Schicksal
Strum.
Schischakow fuhr fort: »Eine Erklärung in Form eines Briefes …«
Badjin sagte leise: »Ich habe ihn gelesen, gut geschrieben, alles auf den Punkt gebracht … Unterschreiben sollen ihn nur wenige, die bedeutendsten Wissenschaftler unseres Landes, Persönlichkeiten, die in Europa und Amerika berühmt sind.«
Schon nach den ersten Worten von Schischakow hatte Strum begriffen, worauf dieses Gespräch hinauslief. Er hatte nur noch nicht gewusst, worum Schischakow ihn bitten würde – um eine Rede im Wissenschaftsrat, einen Artikel oder die Teilnahme an einer Abstimmung … Jetzt wusste er es: Man wollte seine Unterschrift unter den Brief.
Übelkeit erfasste ihn. Wieder spürte er, wie vor der Versammlung, auf der man von ihm eine Reueerklärung verlangt hatte, seine schmetterlingshafte Fragilität.
Millionen Tonnen granitenen Felsgesteins wollten sich wieder auf seine Schultern legen … Professor Pletnew! Strum erinnerte sich sofort an den Artikel in der »Prawda« über irgendeine Hysterikerin, die den alten Mediziner schmutziger Machenschaften beschuldigt hatte. Wie immer hatte das Gedruckte wie Wahrheit ausgesehen. Wahrscheinlich war die Lektüre von Gogol, Tolstoi, Tschechow und Korolenko die Ursache für seinen fast religiös zu nennenden Glauben an das gedruckte russische Wort. Aber es kam die Stunde und der Tag, da hatte Strum erkannt, dass die Zeitung log, dass Professor Pletnew verleumdet wurde.
Bald darauf wurden Pletnew und Doktor Lewin, der berühmte Internist aus dem Kreml-Krankenhaus, verhaftet; sie gestanden, dass sie Alexej Maximowitsch Gorki ermordet hätten.
Drei Männer schauten Strum an. Ihre Augen waren freundlich, wohlmeinend, überzeugt. Er war unter seinesgleichen, Schischakow hatte auf brüderliche Weise die enorme Bedeutung von Strums Arbeit anerkannt. Kowtschenko sah jetzt zu ihm auf. Die Augen von Badjin drückten aus: »Ja, was du getan hast, war mir fremd. Aber ich habe mich geirrt, habe es nicht verstanden. Die Partei hat meinen Fehler korrigiert.«
Kowtschenko öffnete einen roten Ordner und reichte Strum das getippte Schreiben.
»Viktor Pawlowitsch, ich muss Ihnen noch sagen, dass diese englisch-amerikanische Kampagne den Faschisten in die Hände spielt. Wahrscheinlich wurde sie von den Lumpen aus der Fünften Kolonne inspiriert.«
Badjin unterbrach ihn: »Warum sollen wir Viktor Pawlowitsch zureden? Er hat das Herz eines russischen, eines sowjetischen Patrioten, wie wir alle.«
»Sicher«, sagte Schischakow, »so ist es.«
»Wer wollte daran zweifeln?«, sagte Kowtschenko.
»Ja, ja, ja«, murmelte Strum.
Am verwunderlichsten war, dass diese Männer ihn noch vor kurzem verachtet und verdächtigt hatten, ihm jetzt aber ganz selbstverständlich ihr Vertrauen und ihre Freundschaft entgegenbrachten und dass er, obwohl er sich ständig an ihre Grausamkeit ihm gegenüber erinnerte, ihre freundschaftlichen Gefühle ganz selbstverständlich hinnahm.
Diese Freundlichkeit und dieses Vertrauen fesselten ihn, raubten ihm die Kraft. Wenn sie ihn angeschrien und geschlagen hätten, wenn sie mit dem Fuß aufgestampft hätten, dann wäre er vielleicht zornig aufgebraust, hätte Stärke gezeigt … Stalin hatte mit ihm gesprochen. Die Männer, die neben ihm saßen, hatten das nicht vergessen.
Aber, mein Gott, wie furchtbar war der Brief, den die Genossen ihn zu unterschreiben baten. Und um was für schreckliche Dinge ging es darin.
Er konnte nicht glauben, dass Professor Pletnew und Doktor Lewin den großen Schriftsteller ermordet hatten. Als Strums Mutter in Moskau war, hatte sie Doktor Lewin konsultiert. Auch Ljudmila Nikolajewna ließ sich von ihm behandeln, er war ein kluger, feiner, sanfter Mensch. Was für ein Ungeheuer musste man sein, um diese beiden Ärzte so zu verleumden?
Diese Beschuldigungen rochen nach finsterem Mittelalter. Ärzte als Mörder! Die Ärzte sollten den großen Schriftsteller, den letzten russischen Klassiker ermordet haben. Wer brauchte diese blutigen Verleumdungen? Hexenprozesse, Scheiterhaufen der Inquisition, Ketzerhinrichtungen, Qualm, Gestank, kochender Teer … Wie ließ sich das alles mit Lenin, mit dem Aufbau des Sozialismus, mit dem großen Krieg gegen den Faschismus in Einklang bringen?
Er nahm die erste Seite des Briefs. Alexej Alexejewitsch fragte ihn, ob er genug Licht habe und sich vielleicht in den Sessel umsetzen wolle. Nein, nein, vielen Dank, es ist alles in Ordnung.
Er las langsam. Die Buchstaben drangen ins Gehirn ein,
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