Leben und Schicksal
öffneten sich nicht. Inna dachte, dies sei ein Kniff des KGB, um sie auf frischer Tat zu ertappen, und bekam einen Riesenschreck. Schließlich befreite sie ein Hausbewohner, der die Treppe hinunterging, und alles nahm ein gutes Ende. Doch danach blieb meine Frau Irina, als sie Lipkin das Manuskript zurückbrachte, im neuen Lift seines Hauses stecken und argwöhnte ebenfalls, dies sei ein Hinterhalt des KGB. Zwischen diesen beiden kleinen Abenteuern erlebte ich eines, das nicht ganz so klein war. Das Datum kann ich genau angeben, und Sie werden gleich verstehen, warum.
Am 11. September 1977 – ich befand mich in der Lage eines Staatsverbrechers, der observiert wurde – verließ ich unser Haus, um das Manuskript beim Fotografen abzuholen, der es auf Mikrofilm aufgenommen hatte. Er wohnte am anderen Ende von Moskau. Ich stieg ins Auto ein und sah sofort, dass die Beschatter dicht hinter mir auffuhren, dennoch startete ich. Der grüne »Schiguli« und der graue »Wolga« rollten hinter mir her. Nachdem ich sinnlos durch die Straßen gekurvt war, kehrte ich nach Hause zurück und fragte meine Frau, ob ich nicht etwas für sie erledigen könnte. Sie bejahte. Ich nahm den Träger mit den leeren Mineralwasserflaschen Marke »Borschomi«, fuhr zum Getränkeladen bei der Metrostation Sokol und stellte mich dort in die Käuferschlange. Ein Teil der mich beschattenden KGBler schloss hinter mir auf, und die Schlange wurde deutlich länger. Ich brachte das Wasser heim und fragte, was es noch zu tun gebe. Meine Frau sagte: den Staubsauger zur Reparatur bringen. Ich nahm den Staubsauger und schaute im Auskunftsverzeichnis nach, ob sich in der Nähe meines eigentlichen Ziels eine Reparaturwerkstatt befände. Ich fand eine auf dem Kutusow-Prospekt und fuhr hin. Der »Wolga« und der »Schiguli« hefteten sich an meinen Wagen, mal hinter mir, mal neben mir. Ich überlegte die ganze Zeit, wie ich sie abhängen könnte, weil es mir nicht um den Staubsauger ging, sondern um Grossmans Manuskript. Sie abzuhängen war in der Tat fast unmöglich, weil sie Funk und jede Menge Autos und Personal zur Verstärkung hatten, ich dagegen war allein, ungeschützt und hilflos wie eine Schabe in einer Glasdose. Ich hatte jedoch einen Vorteil, ich konnte mein Leben aufs Spiel setzen, wozu sie nicht bereit waren. Als ich auf einer Mittelspur des breiten Prospekts auf den Triumphbogen zufuhr, sah ich, dass der Verkehr vor mir an der Ampel stoppte. Kaum hatte sie wieder auf Grün geschaltet, strömte mir bereits die Blechlawine auf der Gegenfahrbahn entgegen, doch ich riss das Lenkrad nach links herum und schnitt dem Gegenstrom im rechten Winkel die Fahrt ab. Bremsen quietschten, ein wildes Hupkonzert ertönte, ich fuhr in die gegenüberliegende Straße hinein, schaute in den Rückspiegel und bemerkte schadenfroh, dass der graue »Wolga« und der grüne »Schiguli«, heftig blinkend und ihre Verwandtschaft nicht mehr verleugnend, am Mittelstreifen ausharrten. Ihr Leben um des Triumphs des Kommunismus willen aufs Spiel setzen, wollten die Herrschaften dann doch nicht.
Die Straße, in die ich hineinraste, war leer und breit. Ich gab Gas, aber wie konnte ich wissen, dass parallel zum Kutusow-Prospekt die Kiewer Eisenbahnlinie verlief und alle Querstraßen Sackgassen waren? Ich hatte noch nicht das volle Tempo erreicht, da wurde die Straße schmaler, floss den Berg hinunter, bedeckte sich mit einem Dach und zog mich in ein unterirdisches Bauwerk hinein, vor dessen Tor ein verdatterter MP-Schütze stand. Es war offenbar eine Einrichtung des Militärs oder des KGB. Ich begriff, dass meine Einfahrt unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen könnte, und wendete auf der Stelle (es war genug Platz) mit quietschenden Reifen (der Soldat konnte gerade noch den Mund aufreißen), raste hinaus, bog links ab in die Studentenstraße und hielt an, um zu verschnaufen und zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Das beklemmende Warten dauerte nicht allzu lange: Aus der Gasse bog ein schwarzer »Wolga« mit privater Nummer, zwei Antennen und einem vor Langeweile gähnenden Fahrer um die Ecke. Als er an mir vorbeifuhr, wandte er sich so ostentativ von mir ab, dass sein Interesse zweifellos mir galt. Mir war nun klar, dass es für mich kein Entkommen gab, ich ließ den Motor an und fuhr los. Meine Gefährten erwarteten mich auf dem Prospekt an der Ecke der Gasse und folgten mir aufs Neue, wechselten manchmal die Spur, blieben ein wenig zurück oder überholten mich. Vor dem
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