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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Hotel Metropol stockte der Verkehr, und meine Begleiter verteilten sich folgendermaßen: Der »Wolga« hielt sich ein Stückchen rechts vor mir, der »Schiguli« ein Stückchen links hinter mir. In beiden Autos saßen jeweils vier Mann und alle mit Hut, wie ich mich erinnere. Keiner von ihnen schien mich zu beachten. Ich hupte die Mannschaft im »Wolga« an. Sie rührten sich nicht. Ich hupte wieder und wieder.
    Die Insassen der anderen Autos schauten mich bereits erstaunt an, endlich drehten auch die »Wolga«-Insassen ihre Hüte. Ich zeigte dem Fahrer, er solle sich nicht unnütz verstecken, sondern mir hinterherfahren. Dann blinkte ich lange den Fahrer des »Schiguli« an und bedeutete ihm dasselbe. Zu meiner Verwunderung gingen sie auf meinen Vorschlag ein und formierten sich, nachdem wir in den Marx-Prospekt eingebogen waren, um. Doch zunächst fuhren sie nicht hinter mir her, sondern parallel rechts und links von mir. Wir erreichten den Platz, auf dessen gegenüberliegender Seite das KGB-Gebäude stand (heute Sitz des FSB) und in dessen Mitte die Statue des Gründers des sowjetischen Geheimdienstes aufragte, nach dem der Platz benannt war, Felix Dserschinski. Hier fand ein Spektakel statt, das sich für einen Hollywoodfilm geeignet hätte. Unmittelbar vor meinem Kühler tauchte ein Verkehrspolizist auf, fuchtelte mit dem Stock und pfiff auf seiner Trillerpfeife. Ich dachte, diese Bewegungen seien auf mich persönlich bezogen, gleich würde ich aus meinem Wagen geholt und ins KGB-Gebäude abgeführt werden, doch sogleich fielen mir die Worte eines Freundes ein: »Du überschätzt deine Bedeutung, alter Knabe.«
    Der Milizionär riegelte den Verkehr ab und rannte dabei geschäftig herum. Weshalb er das tat, war nicht klar. Ich schielte zu meinen Begleitern hinüber, alle – die vier rechts und die vier links – schauten stur geradeaus. Plötzlich kam von der Metrostation her eine seltsame Prozession auf den Platz zu: hochrangige Miliz- und KGB-Beamte – Generäle und Oberste – sowie graue Zivilisten. Diese zumeist älteren, dicken Männer hielten Kränze mit Schleifen vor dem Bauch und zogen zu dem Denkmal Dserschinkis, wobei sie ihre andächtigen Gesichter hoben und senkten, als seien sie sich der Tatsache gewiss, dass dieser von seinem Sockel aus ihre devote Ehrerbietung zur Kenntnis nehme. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, und erfuhr erst zu Hause, dass das Land den 100. Geburtstag des ersten Tschekisten feierte. Deshalb erinnere ich mich an das Datum.
    Sobald die Delegation den Platz überquert hatte, winkte der Milizionär mit dem Stock und pfiff, ich fuhr weiter, meine Begleiter blieben mir auf den Fersen, aber jetzt verheimlichten sie ihre Rolle nicht mehr, sondern bemühten sich, sie auf jede Weise zu zeigen. Der »Schiguli« überholte mich und fuhr vor mir her, der »Wolga« blieb hinter mir, und so stellten sie die Stärke meiner Nerven auf die Probe. Der Wagen vor mir bremste scharf, der hintere fuhr bedrohlich dicht auf. Sie machten mir Angst, aber ohne großen Erfolg, weil es nicht das erste Mal war und ich mich schon langsam daran gewöhnt hatte.
    Was das Manuskript betrifft, so holte ich es am nächsten Tag ab und schleuste es, trotz der intensiven Beschattung, in den Westen. Meine Verfolger aßen also umsonst das Brot des Staates und verfuhren umsonst das staatseigene Benzin. Auch ihr eisernes Idol half ihnen nicht, dafür wurde es 1991 vom Platz entfernt.
    Wladimir Woinowitsch
    April 2007

Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert
    Ein Nachwort von Jochen Hellbeck
    Napoleon ist auf der Flucht. Eine Kanonenkugel durchlöchert seine Hose und reißt ihm den Stiefel vom Fuß. »So ist es geschehen«, kommentieren rote Lettern. Darunter bohrt sich ein Bayonett durch Hitlers Körper. Der Begleittext hierzu: »So wird es geschehen.« Wie dieses im Herbst 1941 in Moskau in großer Auflage gedruckte Poster veranschaulicht, war nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion der Vergleich zwischen Hitler und Napoleon vielen Menschen präsent. Beide Diktatoren mobilisierten präzedenzlose Heeresmassen, um das Riesenreich im Osten niederzuringen; beide starteten ihre Kampagnen fast zeitgleich, Napoleon am 24. Juni, Hitler am 22.; beide folgten der gleichen westöstlichen Trasse nach Moskau. Hitler wusste natürlich um diese Analogien. Je offensichtlicher der versuchte Blitzsieg über Sowjetrussland misslang, desto mehr betonte er, dass sein Feldzug sich von dem Napoleons unterschied, dessen

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