Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
Vom Netzwerk:
Zentralkomitees, wo er innerhalb eines Jahres zum Instrukteur der Abteilung für Führungskader der Partei aufstieg. Dann, gleich nach dem Jahr 1937, wurde er Sekretär des Gebietskomitees und damit »Herr und Meister« des ganzen Gebiets, wie man so sagte.
    Ein Wort von ihm konnte über das Schicksal von Fakultätspräsidenten, Ingenieuren, Bankdirektoren, Gewerkschaftssekretären, Kolchosvorsitzenden oder über das Los einer Theateraufführung entscheiden.
    Das Vertrauen der Partei! Getmanow war sich der ungeheuren Bedeutung dieser Worte bewusst. Die Partei vertraute ihm! Sein Lebenswerk umfasste zwar keine großen Bücher, ruhmvollen Entdeckungen oder gewonnenen Schlachten, doch sein Leben war erfüllt von gewaltiger, beharrlicher, zielstrebiger Arbeit, von Anstrengungen und durchwachten Nächten. Der Sinn all seines Wirkens gründete in den Forderungen und Interessen der Partei. Und das Vertrauen der Partei war sein schönster Lohn.
    Getmanows Entscheidungen mussten stets und unter allen Umständen vom Parteibewusstsein getragen sein – ging es nun darum, ein Kind ins Waisenhaus einzuweisen, den Lehrstuhl für Biologie an der Universität zu reorganisieren oder die Genossenschaft zur Herstellung von Plastikgegenständen aus dem Raum auszuquartieren, der der Bibliothek gehörte. Das Parteibewusstsein bestimmte auch die Haltung des Parteifunktionärs gegenüber einem Buch oder einem Bild; deshalb musste er, ohne zu zögern, auf einen vertrauten Gegenstand, auf ein Buch etwa, das er liebte, verzichten, sofern seine eigenen Neigungen mit dem Interesse der Partei in Konflikt zu geraten drohten. Aber Getmanow wusste: Es gab ein noch höheres Parteibewusstsein, das von vornherein Neigungen und Sympathien ausschloss, die nicht mit dem Interesse der Partei übereinstimmten, und das dem Parteifunktionär nichts anderes lieb und teuer erscheinen ließ als das, was den Standpunkt der Partei zum Ausdruck brachte.
    Grausam und hart waren manchmal die Opfer, die Getmanow um seines Parteibewusstseins willen bringen musste. Ob es um einen Landsmann ging oder einen Lehrer aus der Schulzeit, dem er viel zu verdanken hatte – Urteile wie »ist von der Parteilinie abgewichen«, »hat den Standpunkt der Partei nicht genügend vertreten«, »hat sich parteischädigend verhalten« oder »hat verraten« durften ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen … Gerade darin offenbarte sich dieses hohe Parteibewusstsein, dass die Opfer gar keine Opfer waren, denn persönliche Gefühle wie Liebe, Freundschaft oder Verbundenheit mit den Landsleuten endeten dort, wo sie dem Interesse der Partei zu widersprechen drohten.
    Die Arbeit all derer, die das Vertrauen der Partei besitzen, wird kaum bemerkt, und doch ist sie etwas Gewaltiges – sie verlangt alles, Verstand und Herz, bis zum Letzten. Die Macht des Parteifunktionärs stützt sich nicht auf das Genie des Gelehrten, das Talent des Schriftstellers. Sie steht über Genie und Talent – begabte Forscher, Sänger oder Schriftsteller lauschten begierig dem richtungweisenden, entscheidenden Wort Getmanows, der selbst weder singen noch Klavier spielen oder gar Theaterstücke inszenieren konnte, ja, der nicht einmal genug Bildung und Einfühlungsvermögen besaß, um die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder künstlerischer Werke zu erfassen.
    Kein Volkstribun, kein großer Denker besaß je eine solche Fülle von Macht, wie sie Getmanow, der Sekretär einer Gebietsparteiorganisation, in seinen Händen vereinigte.
    Für Getmanow offenbarte sich der Sinn der Worte »Vertrauen der Partei« in den Ansichten, den Gefühlen, dem Verhalten Stalins. Und Stalins Vertrauen zu diesem oder jenem Kampfgefährten, Volkskommissar oder Marschall bezeichnete auch den eigentlichen Kern dessen, was man Parteilinie nannte.
    Dementi Trifonowitschs Gäste unterhielten sich hauptsächlich über seinen neuen Aufgabenbereich in der Armee. Sie wussten, dass er mit einer bedeutenderen Verwendung hätte rechnen können: Zum Heer abkommandierte Parteifunktionäre seines Ranges wurden gewöhnlich Mitglieder des Kriegsrats einer Armee, wenn nicht gar einer ganzen Front.
    Dass man ihn einem Panzerkorps zugewiesen hatte, erfüllte Getmanow mit tiefer Verstimmung und Besorgnis. Über einen Freund im Organisationsbüro des ZK versuchte er zu erfahren, ob er möglicherweise an höchster Stelle Missfallen erregt habe. Anscheinend aber lag gegen ihn nichts vor, was Anlass zur Beunruhigung sein konnte.
    So begann Dementi

Weitere Kostenlose Bücher