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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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fertiggebracht hatten, in diesen wenigen Minuten so viele Konservenbüchsen zu öffnen und all die Gläser und Teller zusammenzusuchen.
    Maschtschuk ließ seinen Blick über die handgewebten ukrainischen Decken an den Wänden, über die breite Ottomane und die einladenden Flaschen und Dosen gleiten.
    »Das Sofa dort, Galina Terentjewna«, sagte er, »habe ich in Ihrer Wohnung gesehen. Es muss schon ein Kunststück gewesen sein, so etwas mitzunehmen. Das nenne ich Organisationstalent!«
    »Stell dir vor«, sagte Getmanow, »ich war schon fort, als man sie evakuierte – sie hat alles ganz allein geschafft!«
    »Hätte ich’s etwa den Deutschen lassen sollen, Landsleute?«, sagte Galina Terentjewna. »Wo sich doch Dima so an das Sofa gewöhnt hatte; kaum war er zurück aus seinem Büro, da streckte er sich auch schon auf dem Sofa aus, um seine Unterlagen zu lesen …«
    »Wann liest denn der schon, der schläft doch nur«, sagte Sagaidak.
    Als Galina Terentjewna wieder in die Küche gegangen war, wandte sich Maschtschuk augenzwinkernd an Getmanow und sagte halb flüsternd: »Na, ich seh sie schon vor mir, die Frau Doktor, die Militärärztin, mit der Dementi Trifonowitsch Bekanntschaft schließen wird …«
    »Ja, er wird es sicher toll treiben«, stimmte Sagaidak zu.
    »Hört doch auf damit, ich bin Invalide«, wies Getmanow sie zurecht.
    »So?«, sagte Maschtschuk. »Und wer war es dann, der sich in Kislowodsk immer nachts um drei in den Krankensaal zurückschlich?«
    Die Gäste brachen in schallendes Gelächter aus. Getmanow streifte den Bruder seiner Frau mit einem durchdringenden Blick.
    In diesem Augenblick kam Galina Terentjewna wieder herein. Sie sah die lachenden Männer der Reihe nach an und sagte: »Kaum ist die Ehefrau hinausgegangen, da seid ihr schon dabei, meinem armen Dima Gott weiß was beizubringen!«
    Getmanow goss Wodka in die Gläser, und jeder begann, sich sorgfältig seine Sakuska auszusuchen. Mit einem Blick auf das Stalin-Bild, das an der Wand hing, erhob Getmanow sein Glas:
    »Also, Genossen, den ersten Trinkspruch bringen wir auf unseren Vater aus. Möge er uns lange erhalten bleiben!«
    Er sagte das in ungezwungenem, familiärem Ton, wie um anzudeuten, dass die Größe Stalins für alle unbestritten war, dass die an diesem Tisch Versammelten jedoch vor allem deswegen auf sein Wohl tranken, weil sie in ihm den schlichten, bescheidenen und mitfühlenden Menschen schätzten. Stalin auf dem Bild kniff die Augen zusammen, und während sein Blick über den Tisch und Galina Terentjewnas üppigen Busen wanderte, schien er sagen zu wollen: »Jetzt, Kinder, werde ich mir mein Pfeifchen anzünden und mich zu euch setzen.«
    »Recht so, unser Väterchen soll leben!«, rief der Bruder der Hausherrin. »Was wären wir ohne ihn?«
    Sein Glas an den Lippen, warf er einen fragenden Seitenblick auf Sagaidak, ob der nicht auch etwas sagen wollte. Sagaidak sah zu dem Bild hoch und sagte: »Worüber sollten wir noch reden, Vater? Du weißt ja alles.« Er leerte sein Glas. Und alle folgten seinem Beispiel.
    Dementi Trifonowitsch stammte aus Liwny im Gebiet Woronesch, doch langjährige Beziehungen verbanden ihn mit den ukrainischen Genossen, denn er war seit vielen Jahren für die Partei in der Ukraine tätig. Die Bande, die ihn mit Kiew verknüpften, waren nach seiner Heirat mit Galina Terentjewna noch inniger geworden. Zahlreiche Verwandte seiner Frau saßen dort in hohen Partei- und Regierungsämtern.
    Dementi Trifonowitschs Leben war herzlich arm an Ereignissen gewesen. Am Bürgerkrieg hatte er nicht teilgenommen. Nie hatten Polizisten ihn gehetzt, nie zaristische Gerichte ihn nach Sibirien verbannt. Seine Referate auf Konferenzen und Kongressen las er meist vom Blatt ab, und obwohl er sie nicht selbst schrieb, las er gut – ausdrucksvoll und ohne zu stocken. Sie waren allerdings auch mit großen Schrifttypen und doppeltem Zeilenabstand getippt, der Name Stalins stets mit roter Schrift besonders hervorgehoben. Als junger Mann war Getmanow das, was man einen gescheiten, disziplinierten Burschen nennt. Er hätte gern am Institut für Mechanik studiert, wurde aber stattdessen zur Arbeit in den Sicherheitsorganen abkommandiert und war bald darauf Leibwächter des Sekretärs seines Kreiskomitees. Man wurde auf ihn aufmerksam und schickte ihn zur Kaderschulung, dann wurde er in den Parteiapparat geholt, zuerst in die Organisations- und Instrukteurabteilung des Kreiskomitees, später in die Kaderabteilung des

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