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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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besondere Menschen«, sagte Sagaidak. »Ich spreche natürlich nicht vom Genossen Stalin – der steht außerhalb jeder Diskussion. Ich denke an seine engsten Mitarbeiter. Die verstehen es, selbst in solch einem Fall die Partei über alle Vatergefühle zu stellen.«
    »Ja, und sie verstehen auch, dass man das nicht von jedermann erwarten darf«, sagte Getmanow und spielte damit auf einen Sekretär des ZK und dessen Härte dem eigenen Sohn gegenüber an, der sich etwas hatte zuschulden kommen lassen.
    Das Gespräch über die Kinder nahm jetzt vertraulichere und ungezwungenere Formen an. Man konnte fast glauben, dass die innere Stärke dieser Menschen, ihre Fähigkeit, sich zu freuen, davon abhing, ob ihre Tanjetschka oder ihr Witali rote Backen hatten, ob sie gute Noten nach Hause brachten und ob ihr Wladimir und ihre Ljudmila erfolgreich ins nächste Studienjahr aufrückten.
    Galina Terentjewna erzählte von ihren Töchtern: »Swetlana war vor ihrem fünften Lebensjahr ein kränkliches Kind – sie hatte eine Darmgeschichte nach der anderen und kam schließlich ganz von Kräften. Und was denken Sie, wie wir sie geheilt haben – mit geriebenen sauren Äpfeln …«
    Und Getmanow berichtete: »Heute Morgen vor der Schule erzählt sie mir: Mich und Soja nennt man nur die Generalstöchter, und Soja, der Frechdachs, kräht: ›Sieh mal an, eine Generalstochter – was du nicht sagst! Bei uns in der Klasse haben wir eine Marschallstochter – das ist wirklich was!‹«
    »Da seht ihr’s«, sagte Sagaidak lachend, »denen kann man’s nicht recht machen. Igor hat mir dieser Tage erklärt: ›Dritter Sekretär, das ist doch weiß Gott kein hohes Tier!‹«
    Auch Nikolai Terentjewitsch hätte von seinen Kindern viel Amüsantes und Erheiterndes erzählen können, aber er wusste, es war nicht angebracht, von der schnellen Auffassungsgabe seiner Kinder zu sprechen, wenn von der Intelligenz Igor Sagaidaks oder der Getmanow-Mädchen die Rede war.
    Maschtschuk sagte nachdenklich: »Unsere Väter im Dorf machten kein großes Aufheben um ihre Kinder.«
    »Aber sie liebten sie darum nicht weniger«, sagte der Bruder der Hausherrin.
    »Lieben – na ja, sie liebten sie schon, aber sie gerbten ihnen auch das Fell. Meiner jedenfalls.«
    »Ich erinnere mich, wie mein verstorbener Vater im Jahre fünfzehn in den Krieg zog«, sagte Getmanow. »Lacht nicht, er hat es zum Unteroffizier gebracht und zweimal das Georgskreuz bekommen. Mutter packte ihm seine Sachen für die Reise, erst legte sie ein Paar Fußlappen in den Sack, dann eine gestrickte Unterjacke, darüber harte Eier und einen Brotlaib … Meine Schwester und ich lagen wach auf unseren Pritschen und sahen, wie er da zum letzten Mal im Morgengrauen am Tisch aß … Dann hat er den Eimer in der Diele noch vorsorglich mit Wasser gefüllt und Holz gehackt. Mutter hat später immer wieder daran zurückgedacht.«
    Er warf einen Blick auf die Uhr.
    »Oho …!«
    »Also morgen …«, sagte Sagaidak und erhob sich.
    »Ich fliege um sieben …«
    »Vom Zivilflugplatz?«, fragte Maschtschuk.
    Getmanow nickte.
    »Das ist besser.« Nikolai Terentjewitsch erhob sich ebenfalls. »Bis zum Militärflugplatz sind es fünfzehn Kilometer.«
    »Was macht das einem Soldaten schon aus!«, sagte Getmanow.
    Man nahm Abschied, die Stimmen wurden wieder laut, man lachte, umarmte sich. Als die Gäste schon in Mantel und Hut im Korridor standen, sagte Getmanow: »Ein Soldat gewöhnt sich an alles, er kann sich am Rauch wärmen und sich mit einer Schusterahle rasieren. Nur an eines kann sich ein Soldat nicht gewöhnen – fern von seinen Kindern zu leben.«
    Und seine Stimme, der Ausdruck seines Gesichts und der Blick, den ihm die Gäste beim Hinausgehen zuwarfen, machten deutlich, dass die Sache jetzt ernst wurde.
    22
    Dementi Trifonowitsch, nun schon in Uniform, verbrachte die Nacht schreibend am Tisch. Seine Frau saß im Morgenrock an seiner Seite und folgte mit den Augen den Bewegungen seiner Hand. Er faltete den Briefbogen zusammen und erklärte ihr: »Das hier ist an den Direktor des Kreisgesundheitsamts, für den Fall, dass du eine Kur brauchst und einen auswärtigen Spezialisten konsultieren musst. Einen Passierschein besorgt dir dein Bruder, er selbst kann dir nur den Einweisungsschein ausstellen.«
    »Hast du mir eine Vollmacht für die Auszahlung deines Gehalts geschrieben?«, fragte seine Frau.
    »Das ist nicht nötig«, sagte Getmanow. »Ruf den Geschäftsführer im Gebietskomitee an oder, noch

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